#019

Text:
Florian Hämmerle

Vom Nutzen zum Nutzer
Zielgruppen definieren

Im Artikel „Grenzen der Demografie“ stelle ich die Vor- und Nachteile demografischer Modelle genauer vor und dabei folgende These in den Raum:

In einer Welt, in der sich Produkte und ihre Features immer mehr ähneln, reicht es nicht, mit allen gleichzeitig zu kommunizieren – wie in demografischen Modellen fast zwangsläufig der Fall. Stattdessen sollten wir (nur) mit jenen kommunizieren, für die ein Service oder Produkt als Marke auch wirklich relevant ist.

In diesem Artikel geht es darum, eine zeitgemäße Alternative anzubieten – Alan Coopers Persona.

 

Aus Nutzenorientiert wird Nutzerzentriert

Das Konzept der Persona (lat. Maske) geht auf den US-amerikanischen Software-Entwickler Alan Cooper zurück. Sein Augenmerk richtete er auf die Mensch-Computer-Interaktion – und damit der Frage, wie eine gewisse Nutzergruppe eine Anwendung bedient, um aus den Beobachtungen realer Personen mehrere Personas (eigentlich: Personae – klingt aber blöd) abzuleiten. Sie dienten ihm als Basis um unterschiedliche Bedienungs-Szenarien durchspielen zu können.

Alan Coopers Erkenntnisse prägen ein Grundprinzip moderner Designprozesse: Weg von der Nutzen-Orientierung hin zu einer Nutzer-Zentrierung.

Die Persona entstand bereits in den 80ern und wurde erst 1999 in seinem Buch „The Inmates are Running the Asylum“ näher beschrieben. Darin unterscheidet Cooper generell zwischen 3 Arten von Personas:

Die Marketing Persona (im B2B als Buyer Persona bezeichnet) dient der Vermarktung von Produkten oder Services und ist in der Regel ein Resultat von Interviews mit Zielpersonen und marktweiten Studien. Die Design Persona beschäftigt sich mit dem Nutzerverhalten und nimmt direkten Einfluss auf die Gestaltung eines Produkts – etwa die Schriftgröße eines Fahrkartenautomaten, der auch von älteren Anwendern genutzt wird.

Und schließlich die Proto Persona – nicht viel mehr ein schneller Entwurf, der dem Austesten von Ideen und Gedanken dient und in der Regel auf allzu intensive Recherche verzichtet. Lt. Cooper ist das die Persona, die typisch für die Arbeit von Agenturen oder Marketing Managern sei. Sie ist vergleichsweise schnell entworfen – und seiner Aussage nach „immer noch besser, als sich gar keine Gedanken zur Zielgruppe zu machen.“

Was etwas zynisch klingt, ist in Wahrheit nur realistisch: Denn nicht alle Kunden können oder wollen sich einen umfassenden Rechercheprozess oder die Zusammenarbeit mit Marktforschungsinstituten leisten. Und natürlich macht es auch für kleine Unternehmen absolut Sinn, sich Gedanken zu machen, wen sie eigentlich ansprechen wollen. Da sind die Ressourcen besonders begrenzt.

Alan Coopers Schema ist relativ einfach anzuwenden. Alles, was wir zur Erstellung einer Proto Persona brauchen, ist eine sinnvolle Struktur, ehrliches Interesse am Gegenüber, etwas Einfühlungsvermögen und Hausverstand. In Teams zu arbeiten ist generell sinnvoller als einzeln. Und es macht Sinn, einen Vertreter aus der Zielgruppe hinzuzuholen – etwa einen Mitarbeiter, der dem Zielprofil nahekommt.

 

Wie man Personas definiert

Eine Persona ist ein fiktives Portrait des Gegenübers und steht stellvertretend für eine Mehrzahl an Menschen, die sich ähnlich charakterisieren lassen. Dennoch unterscheidet sich das Modell grundlegend von der klassischen Zielgruppe, indem es Spannen („von … bis …“) oder Verallgemeinerungen („Social Media“ statt „Tik Tok, Instagram“) weitgehend vermeidet und möglichst spezifisch arbeitet.

Um diesen Grundgedanken greifbarer zu machen, ein einfaches Beispiel:

Während auf demografischer Ebene eine Zielgruppe von 18- bis 25-Jährigen durchaus sinnvoll scheint, unterscheidet sich das Leben einer 18-Jährigen stark von dem eines 25-Jährigen. Eine Zielgruppe der 60- bis 70-Jährigen schließt jene mit ein, die noch arbeiten und jene, die bereits in Pension sind.

In beiden Fällen sind die Bedürfnisse unterschiedlich, da auch die Lebensumstände unterschiedlich sind. Es erscheint nur logisch, dass diese Personen auch unterschiedliche Entscheidungen treffen. In solchen Fällen macht es Sinn, aus einer Gruppe zwei Personas abzuleiten, um die unterschiedlichen Situationen nachvollziehen zu können.

 

Die wesentlichen Merkmale einer Persona

  • Name
  • Spezifisches Alter
  • Derzeitige Rolle: Beispielsweise Studentin, Familienvater, Position, sekundäre Rollen, …
  • Hintergrund: Beispielsweise Lebensumstände, Ausbildung, Wohnort, …
  • Frustrationen: Häufig der Auslöser, überhaupt das Produkt zu kaufen. Erzeugt Relevanz. Ohne Problem macht die Lösung für die Persona keinen Sinn.
  • Bedürfnisse: Die Persona möchte etwas erreichen. Das kann konkret auf das Produkt bezogen sein, aber auch allgemeiner gehalten. Das Produkt dient dann als Katalysator für die Veränderung, die sich die Persona wünscht.
  • Pains: Ein Produkt oder Service löst nicht nur Probleme, es verursacht auch neue Herausforderungen. Die zu benennen kann bereits in der Kommunikation sinnvoll sein, um Glaubwürdigkeit zu schaffen und erste Zweifel, die vom Kauf abhalten, aus dem Weg zu räumen.
  • Gains: Die Benefits, die die Persona durch das Produkt hat. Hier gilt es, zwischen „Features“ und „Benefits“ klar zu unterscheiden. Denn Benefits können auch emotionaler Natur sein und sich nicht unmittelbar auf das Produkt und seine Eigenschaften beziehen.
  • Charakter: Die Persönlichkeit der Persona wird in der Regel auf einer Achse zwischen zwei gegensätzlichen Polen dargestellt: konservativ oder progressiv? Überlegt oder spontan? Introvertiert oder extrovertiert? Die Persönlichkeit liefert hinweise auf die richtige Tonalität der Kommunikation. Und auf die richtige Gewichtung von informativen oder werblichen Inhalten.
  • Medien-Nutzung: Definiert die Kanäle, die für eine Ansprache sinnvoll sind. Vorsicht: „Social Media“ oder „Zeitschriften“ ist zu unspezifisch, um weiterzuarbeiten. Hier ist sinnvoll, ins Detail zu arbeiten, um zukünftige Werbekanäle planen zu können.
  • Illustrative Elemente: Motto und Portraitbild sind hilfreich, um sich in die Persona besser hineinfühlen zu können, haben aber für den eigentlichen Inhalt kaum Relevanz.

Das Grundgerüst, einmal definiert, bleibt immer gleich und lässt damit die Identifikation von Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Personas zu. Der strukturelle Aufbau einer Persona schließt demografische und persönliche Merkmale mit ein.

Optionale Merkmale

In meinen Projekten ergänze ich Personas um weitere Fragestellungen – je nachdem, was für das Konzept wesentlich erscheint. Ein paar Beispiele:

  • Megatrends und Entwicklungen: Klimawandel, Digitalisierung, Energiewende, … Unternehmen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, müssen diese Aspekte in ihren Produkten mitdenken. Unternehmen, die Antworten auf diese drängenden Fragen bieten, sind für Menschen, die diese Themen wesentlich finden, relevanter als jene, die es nicht können.
  • Einflusspersonen: Sekundäre Zielgruppen, die Einfluss auf die Entscheidungen der Persona haben. Bei einem Spielzeug können das etwa die Eltern sein, die die eigentliche Kaufentscheidung treffen. Oder ein Vorgesetzter, der über Budgets und damit Anschaffungen entscheidet. Sekundäre Zielgruppen brauchen eventuell Informationsmaterial, das auf sie zugeschnitten ist.
  • Affinität: Die Vor-Erfahrung der Persona mit ähnlichen Produkten oder Services prägt auch die Erwartungshaltung an die Zusammenarbeit mit neuen Unternehmen.

 

Die Candidate Persona

Im Employer Branding ist das „Produkt“ die offene Stelle bzw. das Angebot als Arbeitgeber. Die Zielgruppe entspricht dem gesuchten Kandidatenprofil. Das Persona Template lässt sich dazu um themenrelevante Fragestellungen erweitern.

  • Persönliche Ziele vs. berufliche Ziele: Die Unterscheidung stellt sicher, dass nichts Wesentliches vergessen geht.
  • Erwartungen an den Arbeitgeber: Benefits, die die Person ggf. voraussetzt. Etwa: Sicherer Arbeitsplatz (Generation Z), persönliche Wachstumsmöglichkeiten (Generation Y), gute Bezahlung (Generation X). Aber auch: namhaftes Unternehmen, Nachhaltigkeit, …
  • Erwartungen an das Team: Wunschvorstellungen, welche Rolle die Person in einem zukünftigen Team einnehmen wird. Betrifft auch die Kommunikation innerhalb eines Teams (z.B. flache Hierarchie, Agilität, …)
  • Berufserfahrung, Ausbildung, Fachspezifische Zusatz-Ausbildungen

Im Employer Branding sollten wir uns gezielt mit Generationen, ihren Vorstellungen und Werten befassen. Denn Generation um Generation unterscheiden sich Menschen stark in ihrer Grundhaltung, die auch ihre ganz individuellen Entscheidungen maßgeblich beeinflusst.

Die Absolventenbefragungen von Ernst & Young liefern Antworten, welche Qualitäten sich Absolventen der Generation Y und Generation Z von Arbeitgebern erwarten. Und lassen damit auch die Frage zu, in wiefern das Unternehmen diese Wünsche überhaupt erfüllen kann.

 

2 Umfelder, 1 Person.

Illustration: Maria Savko

Die Sache mit dem B2B

In unserer Vorstellung ist ein Unternehmen etwas Objektives, das sachliche Entscheidungen trifft. Das stimmt aber nur bedingt. Denn der Entscheider ist immer noch ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen und Eigenheiten. Er ist damit nicht zwingend rationaler als eine Privatperson, er braucht lediglich mehr Information und Argumentation, um seine Entscheidung zu rechtfertigen. Damit unterscheiden sich B2B und B2C Kommunikation etwas weniger, als manchmal suggeriert wird.

Ein sicherheitsbedachter Mensch beauftragt auch im Unternehmen eher einen Experten, der weiß, wovon er spricht. Eine risikobereite Person riskiert auch mal ein Startup, das neue Wege geht. Wir hören nicht auf, wir selbst zu sein, nur weil wir in der Arbeit sind.

Bevor aber eine Persona ausgearbeitet wird, muss auch hier zunächst ein Zielmarkt definiert werden. Das Ideal Customer Profile hat sich als ideale Ergänzung bewährt und findet in Sales, aber auch im Marketing Anwendung. Es beschreibt die Zielunternehmen, die eine Kommunikation erreichen soll, hauptsächlich nach quantitativen Kriterien und einfach zu recherchierenden Fakten.

  • Branche
  • Geografie
  • Größe (Mitarbeiter)
  • Umsatzzahlen
  • Herausforderungen
  • Unternehmensziele
  • Entscheider (Persona)

und optional

  • Technologien
  • Budget
  • Sekundäre Zielgruppen (z.B. fachfremde Einkaufsabteilung, …)
  • Attribute (z.B. primäre Kommunikationskanäle, verwendete Sales-Strategien, …)
  • relevante bestehende Prozesse, mit denen das Produkt oder Service harmonieren muss

 

Die Persona auf Reisen

Nachdem die Grundzüge der Persona definiert sind, wird es Zeit, unseren Helden auf die Reise zu schicken. Wie die Persona mit C. Voglers Writers Journey verbunden werden kann und dadurch an Tiefe gewinnt, was wir für die Kommunikation aus den einzelnen Kapiteln lernen und wie sich sogar ganze Customer Stories ableiten lassen, erkläre ich in Kürze in einem weiteren Artikel.

 


Maria Savko Portrait

Maria Savko
Illustration