Lester Burnham (American Beauty) masturbating in the shower

#018

Text:
Florian Hämmerle

Die Heldenreise
A Storyteller´s Framework

Viele unserer stärksten Geschichten folgen demselben, uralten Erzählmuster, das der Mythenforscher Joseph Campbell aus Sagen, Mythen und Epen herausdestilliert hat. Im Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ beschreibt er ein Abenteuer, das uns immer wieder neu erzählt, was es heißt ein Mensch zu sein und was das Menschwerden ausmacht: von der Suche nach uns selbst, von bitteren Abschieden aus vertrauten Bindungen und Gewohnheiten, vom Wachsen und Reifen der Person. Dieser Monomythos erzählt von der Notwendigkeit, in einer Welt voller Ängste, Ungewissheit und Gefahren erwachsen zu werden und auf eigenen Beinen zu stehen. Er erzählt also … von uns.

Jede Kultur, jede Religion und jede Epoche kennt ein monomythisches Urmodell des Erzählens. Sein Ablauf, seine Etappen und Gestalten spiegeln allgemein menschliche Erfahrungsinhalte, die der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung als Archetypen bezeichnete.

Simon Demmelhuber
Typologie einer Erzählung, 2016

Dieser Monomythos ist hinter unzähligen Masken, Kulissen, Motiven oder Figuren versteckt: Filme wie Pretty Woman, Star Wars, Harry Potter oder Wall-E wirken wie völlig unterschiedliche Werke – allesamt mit einer eigenen Identität. Und doch sind sie im Kern eine Reinterpretation ein und derselben Erzählung.

In meinen Prozessen nutze ich ein abgewandeltes Modell von Campbells Monomythos, Christopher Voglers „Writers Journey“, um die Kommunikation von Marken strategisch zu planen. Der amerikanische Drehbuchautor hat in seinem populären „Memo aus dem Story Department“ Campbells 17 Stationen auf 12 verdichtet. Ich halte seinen Ansatz für zugänglicher und für unsere Zwecke einfacher zu adaptieren. Dazu allerdings erst später.

Hier geht es zunächst einmal darum, zu verstehen. Und dafür tun wir, was am meisten Sinn macht: Wir entstauben meine DVD-Sammlung.

Der besseren Lesbarkeit halber habe ich auf das Gendern verzichtet. Stattdessen sind die einzelnen Akte abwechselnd in der weiblichen oder männlichen Form verfasst.

Kapitel 1: Die gewohnte Welt

Die gewohnte Welt zeigt sich in ihren eintönigsten Facetten. Unsere Protagonist wirkt fehl am Platz. Wir betrachten einen Menschen, der existiert, aber nicht lebt. Der sich in seinen Routinen sicher, aber auch verloren fühlt. Und wir erleben, wie seine Welt zunehmend an Reiz, Freude und Glanz verliert.

Crawford: [leaning towards Clarice] Starling, when I told that sheriff we shouldn't talk in front of a woman, that really burnt you, didn't it? It was just smoke, Starling. I had to get rid of him.
Starling: It matters, Mr. Crawford. Cops look at you to see how to act. It matters.

Silence of the Lambs, 1991

Durch die gewohnte Welt lernen wir den Protagonisten in seiner menschlichsten Form kennen. Er ist Opfer seiner Umstände, die er manchmal auch noch selbst geschaffen hat. Unser Held hat noch nichts Heldenhaftes an sich. Im Gegenteil: Er ist einfach nur ein Mensch, der die Gelegenheit seiner Bestimmung zu folgen schon mehrfach verpasst hat.

American Beauty (Titelbild): Lester Burnham erlebt früh morgens bereits den Höhepunkt seines Tages – unter der Dusche. The Silence of the Lambs: Clarice Starling wird in ihrer Ausbildung zur FBI Agentin aufgrund ihres Geschlechts mit Vorurteilen und Hindernissen konfrontiert. Star Wars – a new Beginning: Ein junger Luke Skywalker träumt vom großen Abenteuer – der Wüstenplanet Tatooine dient gestalterisch als Symbol für die Leere, die der Protagonist verspürt. The Matrix: Thomas Anderson (aka Neo) arbeitet als Programmierer in einem beengten und grauen Großraumbüro. Sein Körper wirkt deutlich zu groß für die Box, in der er arbeitet. The Wizard of Oz: Dorothy singt vom Regenbogen. Ihre gewohnte Welt in Kansas ist in Sepia-Tönen gehalten.

Zeichnung Heldenreise Heros Journey

Kapitel 2: Der Ruf des Abenteuers

Der Ruf des Abenteuers kommt plötzlich und unerwartet. Und für einen kurzen Moment reißt er die Protagonistin aus ihrem gewohnten Leben. Etwas bedroht ihre Familie, der Friede einer Gemeinschaft gerät ins Wanken, ihr Weltbild wird in Frage gestellt. Die Heldin wird mit ihrer Bestimmung konfrontiert, nach der sie sich insgeheim schon lange sehnt: Eine bedeutungsvolle Rolle in dem großen Stück, das sich Leben nennt.

Mrs. Robinson, you're trying to seduce me ...
aren't you!

Benjamin Braddock, The Graduate, 1967

Der Ruf des Abenteuers hat in Film wie Literatur viele Formen: Ein Anruf, ein dramatisches Ereignis, eine scheinbar zufällige Begegnung. Manchmal erfolgt er sogar in mehreren Schritten, denn manche Protagonisten verweigern gleich mehrfach. Der Ruf ist ihr erster Berührungspunkt mit einer aufregenden, unbekannten Welt. Durch die Augen unserer Heldin erhaschen wir einen ersten Blick auf das, was sein könnte und unweigerlich noch folgen wird: Ein Abenteuer, das in diesem Moment ihre Sehnsucht, aber auch ihre stärksten Zweifel weckt.

The Graduate: Mrs. Robinson bittet Ben, sie nach Hause zu fahren, wo sie versucht ihn zu verführen. The Matrix: Neo erhält eine mysteriöse Nachricht auf seinem Computer-Bildschirm: „Follow the white Rabbit.“ Pretty Woman: Der Geschäftsmann Edward hält mit seinem Lotus im Rotlichtbezirk und spricht zum ersten Mal mit Vivian, einer Prostituierten. Lord of the Rings:  Frodo berührt den Ring der Macht und sieht in einer Vision das Auge Saurons. Star Wars – a new Beginning: Der Droide R2D2 spielt eine holografische Nachricht von Prinzessin Leah ab, die den Jedi Obi Wan Kenobi um Hilfe bittet.

Kapitel 3: Die Verweigerung

Unser Protagonist weigert sich. Mal sind es andere, die ihn von der Reise abhalten – Torwächter, die er erst überwinden muss. Mal sind es innere Zweifel oder Ängste: Er traut sich den Schritt einfach nicht zu. Was immer es ist, die gewohnte Welt erscheint ihm plötzlich bunter, als sie es gerade noch war. Er findet Vorwände, die Reise nicht anzugehen. Schließlich möchte er das Leben, das er führt, nicht aufs Spiel setzen.

Gandalf: The world is not in your books and maps. It's out there.
Bilbo: I'm not a warrior, I'm a Hobbit.

The Hobbit, 2012

Die Verweigerung dient der Charakterzeichnung unseres Protagonisten. Er ist eben nicht der strahlende Held, sondern immer noch ein ganz normaler Mensch mit Ängsten und Schwächen. Wir sympathisieren mit ihm, seine Zweifel können wir nachfühlen. Denn auch wir ziehen die Routine dem Abenteuer oft vor. Sie gibt immerhin ein Gefühl von Halt und Sicherheit.

The Pursuit of Happiness: Der erfolglose Vertreter Chris spielt mit seinem Sohn Basketball auf dem Dach eines Hochhauses. Als dieser laut davon träumt, einmal in der NBA zu spielen, erwidert sein Vater, er solle sich lieber etwas suchen, das er wirklich gut kann. Diese Rolle wird in Film und Literatur als Gatekeeper bzw. Torwächter bezeichnet. Star Wars – a new Beginning: Luke sträubt sich gegen das Abenteuer. Er könne Tante Beru und Onkel Owen nicht im Stich lassen. Rocky: Der abgehalfterte Boxer verweigert die Gelegenheit zu Ruhm und Größe mit den schlichten Worten: „Danke, aber nein danke.“ The Matrix: Bei seiner Flucht aus dem Bürogebäude klettert Neo aus dem Fenster. In seiner Todesangst weigert er sich, auf die Stimme am Telefon zu hören und in die Tiefe zu springen.

Heros Journey Heldenreise Mr. Myagi Karate Kid

Kapitel 4: Der Mentor

Die Protagonistin begegnet einem Mentor, der auf ihrer Reise eine tragende Rolle einnimmt. Der Mentor kennt die Tücken der unbekannten Welt und erkennt das Potenzial unserer Heldin. Akribisch bereitet er ihn auf lauernde Gefahren und Hindernisse vor – mal mit Wissen, mal mit Training, mal mit dem magischen Schwert. Unsere Heldin bekommt das wohl mächtigste Rüstzeug mit auf die Reise: Die Zuversicht, der Aufgabe auch wirklich gewachsen zu sein.

First learn stand, then learn fly.
Nature rule, Daniel-san, not mine.

Mr. Myagi, Karate Kid, 1984

Der Mentor erklärt die unbekannte Welt nicht nur unserer Heldin, sondern auch uns. Im übertragenden Sinne, zeigt er uns den Drachen und erklärt, wie er erschlagen werden kann. Oft begleitet er die Protagonistin über die gesamte Reise hinweg – oder taucht zur rechten Zeit am rechten Ort wieder auf, um sie auf den richtigen Pfad zurückzulenken.

Karate Kid: Mr. Myagi eröffnet Daniel nicht nur die Kunst des Karate, sondern auch sein tief philosophisches Wissen über ein Leben in Balance. Star Wars – a new Beginning: Der Einsiedler Ben Kenobi unterweist Luke in der Macht, eine magische Kraft, die allen Elementen innewohnt. Er gibt ihm die Waffe seines Vaters, ein Lichtschwert. Pretty Woman: Der Hotelmanager unterweist Vivian, wie sie sich in der Noblesse bewegen, kleiden, sprechen und sogar speisen soll, um sich einzufügen. The Matrix: Morpheus gibt Neo die Wahl zwischen einer roten und einer blauen Pille – dem Weg nach vorn, oder zurück in seine gewohnte Welt.

Pretty Woman Heros Journey The first Treshold

Kapitel 5: Die erste Schwelle

Mit neuem Mut wagt unser Protagonist den Schritt ins Unbekannte und betritt eine für ihn wunderliche Welt. Von hier an gibt es keinen Weg zurück – zumindest noch nicht. Die erste Schwelle wird in Film und Literatur häufig durch ein Symbol oder einen Gegenstand verkörpert: ein Fahrzeug, eine Tür, manchmal ein magischer Spiegel.

Vivian: Well, color me happy! There's a sofa in here for two!
[A chagrined Edward turns to the couple.]
Edward: First time in an elevator.
Woman: Ah.

Pretty Woman, 1990

Die erste Schwelle führt nahtlos in die Haupthandlung der Geschichte über. Mit ihr beginnt der zweite Akt unserer Reise und wir betreten die unbekannte Welt, die sich wie eine Antithese zur gewohnten anfühlt. Erschien die Welt unseres Helden eben noch grau und eintönig, ist seine neue Umgebung leuchtend und farbenfroh. War sie ereignislos und simpel gestrickt, ist sie nun aufregend und komplex. Unser Held ist fasziniert und verängstigt zugleich. Und sind Film oder Literatur gut, sind wir es auch.

Pretty Woman: Die Schwelle ist ein Fahrstuhl, der Vivian von der Lobby in das Penthouse des Geschäftsmannes Edward bringt. Der Fahrstuhl ist zugleich ein Symbol für den gesellschaftlichen Aufstieg. The Matrix: Die Schwelle ist eine Wand aus einer wabbelnden, undefinierbaren Masse, in der sich der Raum spiegelt. Dieser magische Spiegel ist nicht die einzige Anlehnung an Alice im Wunderland. Alice in Wonderland: Die Schwelle wird über den Kaninchenbau symbolisiert, in den Alice dem verrückten Hasen folgt. Wizard of Oz: Die Schwelle wird durch den Farbstil des Films unterstrichen: War ihre gewohnte Welt noch eben in traurigen Sepia-Tönen gehalten, ist die unbekannte Welt farbenfroh.

Wizard of Oz Heldenreise Heroes Journey Companions Allies

Kapitel 6: Proben, Verbündete, Feinde

Es folgen die ersten Gehversuche unserer Protagonistin. Zunächst noch recht unbeholfen, tastet sie sich dahin. Irrtum und Missgeschick lassen nicht lange auf sich warten und sorgen in Film und Literatur für erste humorvolle, manchmal sogar absurde Situationen. Die Geschichte führt nach und nach weitere Figuren ein. Die Welt teilt sich in Gut, Böse und irgendwas dazwischen. Damit ist ein Gestaltwandler gemeint, der uns über seine Motive im Dunklen lässt und später für dramatische Wendungen sorgt.

Dorothy: How can you talk if you haven't got a brain?
Scarecrow [smiling]: I don't know. But some people without brains
do an awful lot of talking. Don't they?

Wizard of Oz, 1938

Die neue Welt konfrontiert unsere Heldin mit neuen Regeln, ersten Herausforderungen und stellt uns zugleich ihre Bewohner vor. Wir erfahren mehr über die Bestimmung der Protagonistin, der sie sich nicht mehr entziehen kann. Erste Sidekicks werden etabliert. Meist von der liebenswerten, komischen oder gar schrillen Sorte, erhellen und erleichtern sie die Reise unserer Heldin. Manche machen sie auch komplizierter. Echte Freunde eben.

Wizard of Oz: Dorothy begegnet der dümmlichen aber überraschend weisen Vogelscheuche, dem gehässigen aber feigen Löwen und dem herzlosen und doch scharfsinnigen Dosenmann. The Matrix: Nach dem Aufwachen trifft Neo auf der Nebuchadnezzar andere befreite Menschen und erfährt von Zion, der letzten Bastion der Menschen gegen die Maschinen. Mit an Bord ist der zwielichtige Cypher, der sich als Gestaltwandler bzw. Verräter entpuppt. Harry Potter and the Philosopher´s Stone: Im Zug lernt Harry seine neuen Freunde Hermine und Ron kennen. Bereits in der ersten Szene in Hogwards wird Malfoy zum Widerling stilisiert. Professor Snape wechselt im Verlauf der Filme immer wieder seine Gestalt und macht es uns schwer, ihn richtig einzuordnen.

Heroes Journey Star Wars Inmost Cave

Kapitel 7: Die tiefste Höhle

Die Reise unseres Protagonisten steuert auf einen Höhepunkt zu: Ein dramatischer Kampf um Leben oder Tod. Die innerste Höhle ist in Film und Literatur eine Metapher, denn häufig ist der erste Teil des Konflikts gar nicht körperlich, sondern findet im Kopf unseres Protagonisten statt: Die Überwindung der eigenen Schwächen, Zweifel und Ängste. Dem Helden wird klar: er könnte scheitern. Film oder Literatur drosseln das Tempo, denn dieser Moment braucht Raum. Die Katharsis darf sich entfalten.

Luke: What is in there?
Yoda: Only what you take with you.

Star Wars – the Empire Strikes Back, 1980

Seine Zweifel wecken in uns ein vertrautes Gefühl: die Erinnerung an unseren eigenen inneren Dämon – unser Selbstvertrauen, das uns vor Prüfungen im Stich lässt, unser Hochmut, der uns blind gegenüber Gefahren macht oder unser banaler Wunsch, es allen recht zu machen. Wir werden so ein entscheidendes Mal daran erinnert, dass unser Held eben doch nur ein Mensch ist.

Lord of the Rings – Fellowship of the Ring: Frodo und seine Gefährten steigen in die Minen von Moria hinab. In den finsteren Tiefen werden sie mit einer Heerschar Orks, aber auch mit dem Schrecken der Höhle konfrontiert – einem Balrog. Aliens: Ripley und Newt tasten sich in den Bau der Alien-Königin vor. Lion King: Simba betritt eine dunkle Höhle, in der er mehr über seinen Vater Mufasa und den Kreis des Lebens erfährt. Die Szene repräsentiert seine innere Reise zur sich selbst. Star Wars – the Empire Strikes Back: Luke betritt eine Höhle, die ihn mit seinem größten Widersacher konfrontiert: sich selbst.

Kapitel 8: Der Entscheidungskampf

Der Entscheidungskampf bestimmt das Schicksal unserer Heldin. Aus einem inneren Konflikt wird nun ein körperlicher: Auge in Auge mit ihren Widersachern trifft die Protagonistin die Entscheidung, mutig zu sein. Triumphiert sie, wächst sie über sich hinaus und erfüllt so womöglich ihr Schicksal. Scheitert sie, war jede Herausforderung, die sie bis zu diesem Punkt gemeistert hat, umsonst.

The girl became a soldier. The soldier became a leader.
And the leader became a legend.

Zhou, Mulan, 2020

Manchmal wird sie verletzt oder ringt um ihr Leben. Ein Sieg gelingt nur Wenigen beim ersten Versuch. Und doch ist ihr Scheitern auch ein Gewinn: Denn ob physisch, emotional oder auch moralisch – das Scheitern lässt unsere Heldin wachsen. Sie gewinnt wertvolle Erkenntnisse nicht nur über sich und ihre Grenzen, sondern auch über ihre Widersacher. Und lernt auf schmerzhafte Weise, wie diese am Ende vielleicht doch noch besiegt werden können.

Rocky: Rocky wird im Kampf mit Apollo Creed schwer verletzt, weigert sich aber aufzugeben, was seinen unbändigen Willen demonstriert. Harry Potter and the Goblet of Fire: Während des trimagischen Turniers muss Harry gegen einen Drachen kämpfen. Notting Hill: Anna Scott gesteht dem Buchhändler William Thacker ihre Liebe und setzt damit alles auf eine Karte. Mulan: Mulan kämpft in der entscheidenden Schlacht mit offenen Haaren und steht zu ihrer Identität als Frau.

Heroes Journey Spider-Man Reward

Kapitel 9: Die Belohnung

Unser Held hat große Opfer gebracht. In Film und Literatur wird das stets belohnt. Wohlstand, Ruhm, Erfahrung, manchmal ein Gegenstand – etwas, das für unseren Protagonisten von entscheidendem Wert ist. Die Liebe zu einer Nebenrolle vertieft sich – oder wird endlich erwidert. Das Symbol ist ein Kuss, mit dem die geliebte Person dem ramponierten Helden zeigt, wofür sich das Weiterkämpfen lohnt.

Mary Jane: Do I get to say thank you this time?
[she reaches for his mask]
Spider-Man: Wait!
[she pauses, then pulls his mask down to kiss him.]

Spider-Man, 2002

Die Belohnung ist ein Moment des Triumphs und des Aufatmens – sogar nach einer Niederlage. Sie verkehrt das Negative ins Positive, die Tonalität von Film und Literatur verändert sich, wir sind erleichtert. Die Belohnung ist eng mit dem Schicksal unseres Protagonisten verknüpft. Auf die eine oder andere Art verleiht sie ihm das nötige Wissen oder die Stärke, um sein Ziel schlussendlich doch noch zu erreichen.

Star Wars – a New Hope: Die Belohnung ist der Plan des Todessterns, den die Rebellen benötigen um ihn zu zerstören. Harry Potter and the Philosopher´s Stone: Harry, Ron und Hermine erhalten als Belohnung Punkte für Tapferkeit und Einsatz, was dem Haus Gryffindor den Hauspokal einbringt. The Wizard of Oz: Die Belohnung ist die Erfüllung der größten Sehnsüchte der Protagonisten: Dorothy kann wieder nach Hause, der Löwe entdeckt seinen Mut, der Blechmann erhält ein Herz und die Vogelscheuche ein Gehirn. Gut drei Viertel aller Hollywood-Filme: Die Belohnung ist ein Kuss.

Heroes Journey Extra Terrestrial Road Back

Kapitel 10: Die Reise zurück

Unsere Protagonistin tritt die Rückreise in ihre gewohnte Welt an. Der Weg ist nicht einfach, häufig entbrennen wilde Verfolgungsjagden, die zwar unterhalten, deren Ausgang uns aber im Vorfeld bereits klar ist. Sie dienen dazu, den Weg zwischen neu und alt möglichst schnell zu überbrücken. Und ehe man sichs versieht, findet sich unsere Heldin da wieder, wo alles begann.

You could be happy here, I could take care of you.
I wouldn't let anybody hurt you.
We could grow up together, E.T.

Eliott, E.T. – Extra Terrestrial, 1982

Die gewohnte Welt hat sich nicht verändert. Und doch wirkt sie irgendwie anders. Unsere Protagonistin ist nun ein Fremdkörper, der sich von ihren Regeln und Idealen ein Stück weit entfernt hat. Diese innerliche Veränderung wird durch Äußerlichkeiten unterstrichen: Eine Narbe, ein anderer Kleidungsstil, eine andere Haltung. Ihr wird klar, dass das Wesen, das sie in sich entdeckt hat, nicht mehr in diese Welt passt. Und beginnt damit eine Transformation, die die Regeln ihrer gewohnten Welt auf den Kopf stellt, sie farbenfroher macht und sie nach ihren Vorstellungen formt.

Lord of the Rings – the Return of the King: Nachdem Frodo den einen Ring zerstört hat, folgt der Weg zurück in seine Heimat, das Auenland. Die Auswirkungen der Kriege und Konflikte haben Frodo und seine Welt gezeichnet. E.T. – Extra Terrestrial: Der Weg zurück gipfelt in einer wilden Flucht vor den Behörden, fliegenden Fahrrädern und der herzzerreißenden Trennung zwischen Elliot und E.T. The Godfather: Michael Corleone kehrt aus dem Exil in Sizilien zurück, um sich seinem Schicksal als zukünftiger Mafia-Pate zu stellen. Pretty Woman: Vivian kehrt in Edwards Luxuslimousine in ihre frühere Welt, den Straßenstrich, zurück, um ihre Habseligkeiten zu holen.

Kapitel 11: Die Wiedergeburt

Gestärkt und verändert trifft unser Protagonist ein letztes Mal auf seinen Widersacher. Eine ultimative Prüfung, die in Inhalt und Struktur dem Entscheidungskampf ähnelt, die Vorzeichen aber verschiebt. Auch hier wird mit der Idee des Scheiterns gespielt, nur um sie in der nächsten Szene plakativ fallen zu lassen: Denn dieses Mal springt der Held dem Tod von der Schippe und erschlägt endlich seinen Dämonen.

Thomas Leroy: Nina, what did you do?
Nina: I felt it. Perfect. It was perfect.

Black Swan, 2010

Gerade Dramen nehmen die Wiedergeburt recht wörtlich: Eine Nahtoderfahrung führt zu einem allerletzten Aufbäumen und schließlich dem finalen Sieg unseres Helden – mit oder ohne Hintertürchen für eine Folge zwei. Entscheidende Enthüllungen werfen ein Licht auf den tieferen Sinn der Reise: die Moral der Geschichte. Und unser Held hat seine Bestimmung erfüllt.

Black Swan: Ninas Wiedergeburt findet auf mehreren Ebenen statt: Ihr Mord an Lily entpuppt sich als Tod ihrer eigenen Unschuld. Die Verwandlung in den schwarzen Schwan führt zu ihrem Ableben auf der Bühne. Filme ohne Happy End stoppen in diesem Kapitel abrupt und lassen uns fassungslos zurück. Lion King: Simba stellt sich Scar, dem Bösewicht, und fordert den Thron zurück. The Matrix: Neo opfert sich in der Matrix, um die Menschheit vor den Maschinen zu retten. Nachdem er stirbt, erwacht sein Geist wieder zum Leben und er besiegt seinen Erzfeind Agent Smith. Star Wars – Return of the Jedi: In der finalen Schlacht auf Endor stellt sich Luke seinem Vater Darth Vader. Es folgt ein Duell, in dem der Vater dem Sohn unterliegt. Der weigert sich, ihm den Todesstoß zu verpassen und damit der dunklen Seite zu verfallen. Anakin (Darth Vader) stirbt und kehrt zur „guten Seite“ zurück.

Heroes Journey Indiana Jones Elixir

Kapitel 12: Die Rückkehr mit dem Elixier

Die Protagonistin kommt als neuer Mensch nach Hause. Und mit ihr ein Elixier, das sinnbildlich für die Veränderung steht, die sie selbst durchgemacht hat. Etwas Wertvolles, Machtvolles – ein Ding oder eine Form von Wissen –, das auch ihr Umfeld ein für alle Mal verändern wird. Es ist ihr persönliches Geschenk an diese Welt.

But choose wisely, for while the true Grail will bring you life,
the false Grail will take it from you.

Grail Knight, Indiana Jones and the last Crusade, 1989

Die Rückkehr ist der Abschluss der gemeinsamen Reise. Und unsere Protagonistin bekommt jene Anerkennung, nach der sie sich seit ihrem Aufbruch sehnt. Happy End, also. So scheint es.

Bis ihre Reise von Neuem beginnt.

Thelma & Louise: Das Elixier ist die absolute Freiheit, die sich Thelma und Louise mit ihrem freiwilligen Sturz in den Tod nicht mehr nehmen lassen. Indiana Jones and the last Crusade: Das Elixier ist der heilige Gral. Er ist eine Metapher über das Körperliche hinaus: Denn mit dessen Kraft heilt Indiana nicht nur die tödliche Verwundung seines Vaters, er erweckt auch ihre Beziehung zueinander zu neuem Leben. The Wizard of Oz: Das Elixier ist Dorothys Lektion um die Wichtigkeit von Zuhause und Familie. American Beauty: Das Elixier ist die Erkenntnis, die Lester Burnham in seinen letzten Atemzügen ausdrückt: „Und ich kann nichts empfinden außer Dankbarkeit für jeden einzelnen Moment meines dummen kleinen Lebens.“

 


Maria Savko Portrait

Maria Savko
Illustration