#028

Text:
Florian Hämmerle

Let´s venture. Together.
Case Study, Allard

Projektart: Personal Branding. Projektumfang: Markenstrategie, Naming, Brand Design, Text, Bildkonzept, Webdesign, Stationary. Mit der Unterstützung von: Jörg Kahlbacher (Programmierung). Fotografie: Klaus Vedfelt (über gettyimages), pressthebutton.net

In der Mitte eines Waldes, zwischen Fichten und Buchen verborgen, liegt ein kleiner See. Das heißt, eigentlich ist es gar kein See. Es ist mehr so eine Art Tümpel. Einer von vielen, um genau zu sein. Ein schmaler Bach, der sich durch den Fels schlängelt, hat sie in jahrzehntelanger Geduld in den Stein gegraben. Einen nach dem anderen.

Hier gibts kein Internet, nicht einmal Empfang.

Kein Smartphone, das mich von meinen Fragen ablenkt.
Kein Google, das mir keine Antworten liefert.
Und auch keine KI, die mich ohnehin nicht versteht.

Nur mich und meine Lösungen.
Ich muss sie nur finden.

Buabagumpa, nennen das die Einheimischen – Bubentümpel. Als Kind hat mir mein Papa erzählt, der Ort sei geheim. Er hat den Namen geraunt, regelrecht geflüstert. Natürlich nicht ohne meinen älteren Brüdern zuzuzwinkern, die beide wie Idioten grinsten.

Aber irgendwie stimmt das ja auch. Denn: Hierher kommt niemand. Die Buabagumpa sind vom Rest der Welt verborgen, auf keiner Karte eingezeichnet, nicht einmal auf Google Maps zu finden.

Umso überraschter bin ich, als ich ausgerechnet diesen Ort für ein Brainstorming mit Chris Griessmann vorschlage. Schließlich ist er für mich viel mehr als nur Kulisse. Hierher komme ich immer, wenn ich im Ländle bin. Wenn ich mich frage, was ich eigentlich will. Und wer ich gerade bin.

Wie ein Rahmen hilft er mir, alles Unwesentliche auszuklammern. Und rückt damit jene Fragen ins Zentrum, denen ich anderswo viel lieber ausweiche.

Ich fühle mich also wie ein kleiner Verräter, der seinem Papa doch ein Versprechen gegeben hat, und erkläre mir mit meiner Ratio, dass ich doch kein Kind mehr bin. Und der Eid, den dich da abgelegt habe, vermutlich ohnehin als schlechter Scherz gemeint war. Natürlich hilft mir meine Ratio nicht. Das tut sie in Gefühlsdingen so gut wie nie. Und doch denke ich, dass mein Vorschlag so verkehrt gar nicht sein kann:

Denn die Frage nach der eigenen Identität ist eine, der sich auch eine Personal Brand stellen muss – und genau daran möchte ich mit Chris arbeiten. Im Ideal, versteht sich. Denn die meisten Menschen lassen Tiefe in der Auseinandersetzung gar nicht erst zu. Sie ist aber essenziell, wenn auch ihre Marke authentisch wirken soll.

Die Alternative ist das, was eigentlich niemand will und dann doch jeder tut. Und damit werden wir auf Social Media bereits zur Genüge zugeschissen:

Anstatt Persönlichkeit in Szene zu setzen, wird Persönlichkeit inszeniert. Und die orientiert sich erschreckend oft daran, was andere hören wollen, und fragt sich viel zu selten, was wir überhaupt zu erzählen haben.

Das Eigenartige und damit Merkwürdige, im eigentlichen Wortsinn, wird einfach weggeschminkt. Gerade das zeichnet gute Marken aber aus.

Bei Chris Griessmann wird das anders. Das spüre oder hoffe ich zu diesem Zeitpunkt. Er schickt mir bereits zu Beginn der Zusammenarbeit eine Persönlichkeitsanalyse zu. Nicht so ein Ergebnis eines semi-wissenschaftlichen Fragebogens, den wir vermutlich alle schonmal aus Langeweile ausgefüllt haben. (Nur um dann zur Kasse gebeten zu werden, damit wir das Ergebnis auch lesen können.)

Nein.

Ein ausführliches, etwa 20 Seiten starkes Dokument basierend auf unterschiedlichsten Analysemodellen aus dem Identitätscoaching.

Ich frage mich, was mich eigentlich mehr beeindruckt: Die Tatsache, dass Chris sich mit 29 Jahren so stark mit der eigenen Identität auseinandersetzt. Oder die Tatsache, dass er das Ergebnis aus freien Stücken mit mir teilt. Immerhin erscheint mir das, was da steht, einigermaßen intim. Seine Reflexion spart auch nicht mit Selbstkritik. Und das erfordert Mut. Und ganz viel Vertrauen.

Dieses Vertrauen möchte ich erwidern. Und wähle dazu jenen Ort, der in meinen Narrativ eine ungewöhnlich große Rolle spielt.

Und so sitzen wir – nur mit Badehose bekleidet – auf einem Fels, den die Sonne erwärmt hat. Das einzige Gerät ist ein altes Tablet, das auch mit Internet nicht ins Internet kommt. Darauf schreibe ich wirre Notizen.

Dieses Treffen am Popsch der Welt schickt uns auf eine gemeinsam Reise, die plötzlich nicht mehr von A nach B führt. Sondern irgendwo bei C endet.

Oder ist das schon D?

Chris Unternehmenswerte (schwarze Balken) und persönliche Werte (Cyan) decken sich.

Design: Florian Hämmerle

A new Beginning

Chris Griessmann möchte ein Unternehmen gründen. Eine Kreuzung zwischen Personal Brand und Unternehmensmarke soll es werden, die die zentrale Motivation direkt im Namen trägt: ixplore – ich erkunde. Dazu hat er sich 5 potenzielle Standbeine überlegt, die thematisch mehr oder minder ineinandergreifen und doch einen ziemlich weiten Bogen spannen: Das Themenfeld reicht von „Data & Analytics“, seinem bisherigen Steckenpferd, bis hin zu „Venture Building“, also dem strategischen und strukturellen Aufbau unterschiedlichster Startups.

Seine Augen leuchten, als er die Idee umreißt:

Chris möchte in Startups investieren – und Ideen mit positivem Impact unterstützen. Aber nicht mit Geld, sondern mit einer viel wertvolleren Ressource: Zeit.

Als Interims-Manager steigt Chris quer in Unternehmen ein und schafft mit seiner Expertise jene Strukturen, die Startups benötigen, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Ist sein Ziel erreicht, verlässt er das Unternehmen wieder und übergibt seine Agenden zurück an dessen Gründer_innen. Sein Lohn und damit Ansporn ist eine Beteiligung am Unternehmenserfolg.

Das klingt spannend. Die Sache hat aber einen Haken: Chris hat noch keine Fallbeispiele vorzuweisen, sein Netzwerk in der Startup-Szene ist dünn. Es fehlt ihm an Erfahrung.

Wir reduzieren daher seine 5 Ideen strategisch auf zwei Säulen, die sich gegenseitig stützen sollen: Data & Analytics, sein etabliertes und bereits erfolgreiches Standbein, soll die notwendige Sicherheit schaffen, um sein neues Standbein „Ventures“ aufbauen zu können – und dabei den wirtschaftlichen Druck nehmen. Unterschiedlichste Workshop-Formate bilden dazwischen eine Brücke, die den Kontakt mit Kunden und den Einstieg in Projekte erleichtern soll.

Wir definieren die Inhalte seines Auftritts, erste Botschaften, die Benefits seiner Leistungen und arbeiten Zahlen & Fakten aus, die seine Expertise belegen. Und wir skizzieren eine Founders Story, die Chris Haltung und Motivation in den Vordergrund arbeitet.

Zwei passende Labels beschreiben die Rollen, die Chris für seine Kunden einnimmt: Data Strategist und Venture Companion.

Wer reist, braucht Socken.

Design: Florian Hämmerle

Firma oder Person

Wenige Tage nach unserem Meeting – Chris ist wieder in die Schweiz und ich nach Graz zurückgekehrt – bröckelt meine Euphorie eifrig vor sich hin. Ich erkenne erste Widersprüche. Und das hat vor allem mit der Naming Strategie zu tun:

  • Ich habe mit Chris eine begeisternde, authentische Persönlichkeit erlebt. Der Name ixplore wirkt aber künstlich und drängt diese Persönlichkeit in den Hintergrund.
  • Investoren und andere Figuren der Startup-Szene präsentieren sich nicht über den Namen ihres Unternehmens, sondern treten als natürliche Personen auf. Als Startup Companion müsste sich Chris einen Namen machen – und das wortwörtlich.
  • iexplore suggeriert eine gewisse Größe. In Wahrheit arbeitet Chris (noch) alleine. Startups könnte der Name verschrecken, Leistungen von Unternehmen sind immerhin kostspieliger als die Einzelner; Große Unternehmen könnten eine Enttäuschung erleben, wenn dann doch „nur“ eine Person vor ihnen steht.
  • Corporate Brands sind auf einen klar umrissenen Bereich fokussiert oder fungieren als Dachmarke über unterschiedliche Produktmarken hinweg. Der Aufwand, die beiden höchst unterschiedlichen Standbeine als eigene Marken zu etablieren, scheint für eine Einzelperson nicht sinnvoll und vermutlich auch nicht stemmbar.

Was also folgt, ist eine Abwägung von Kosten und Nutzen:

Chris Persönlichkeit auf einen Firmennamen zu übertragen wirkt wie ein unnötiger Umweg. Die Markenpersönlichkeit von ixplore müsste immerhin konstruiert werden: Das raubt der Marke alles Echte, nur um es dann im Nachhinein wieder anzudichten.

Ich begebe mich also ungebeten auf die Suche nach Alternativen und werde ausgerechnet in meinen wirren Notizen fündig, die ich an besagtem Tümpel verfasst hab. Da steht – mehrfach eingekringelt – Chris Zweitname: Allard.

Ein PIP-Deck als visuelle Kartensammlung mit praxisnahen Methoden für Unternehmensgründer und Innovatoren.

Design: Florian Hämmerle

What a name!

Allard klingt nicht nur ungewöhnlich, er ist auch äußerst selten, wie ich schnell herausfinde: Auf vorname.com, einer Art Ranking-Liste der beliebtesten und häufigsten Vornamen Deutschlands, findet sich der Name gemeinsam mit vielen anderen auf Platz 999+. Er ist im deutschen, englischen und französischen Sprachraum nur spärlich verbreitet, lässt sich aber in allen drei Srachen ganz natürlich aussprechen. Aus dem Alt-Deutschen übersetzt bedeutet er so viel wie „der Edle“ und „der Entschlossene“. Zwei User, die sich den Namen für ihren Spross dann doch irgendwie überlegt haben müssen, bewerten seinen Klang als „gebildet“ und „niveauvoll“.

Unter dem Suchbegriff „Allard“ finde ich Schauspieler, eine Oldtimer Marke, einen Archäologen ohne Hut und eine Stahl- und Eisenschmiede.

Doch die Recherche ist entpuppt sich schnell als überflüssig: Rein rechtlich kann Chris niemand seinen Zweitnamen streitig machen. Der steht immerhin in seinem Reisepass.

Viel wichtiger erscheint mir, dass der Name einen Knoten löst:

Allard funktioniert als Personal Brand, aber ebenso als Company Brand, die mehrere Mitarbeiter_innen unter einem Dach vereint. Fällt Unternehmen eine fokussierte Positionierung mit so unterschiedlichen Standbeinen schwer, wirken sie bei Personen völlig natürlich und nachvollziehbar; Chris macht eben nicht nur eine Sache. Seine Persönlichkeit ist der rote Faden, der das Narrativ von Allard zusammenhält. Das ermöglicht, die Tätigkeit später auf ein drittes, vielleicht viertes Standbein auszuweiten.

Ein grelles Cyan fungiert als Highlight und erinnert an einen Leuchtstift.

Design: Florian Hämmerle

Lost in Translation

An dieser Stelle hole ich normalerweise Designer ins Boot. Aber je mehr ich mich in meinen Gedanken verlier, umso stärker wird die Sorge, dass bei der Übersetzung etwas verloren geht.  Also setze ich mich selbst an Entwürfe und arbeite an einem groben Draft für die Marke Allard.

Ich beginne mit der Suche nach einem grafischen Baustein, der Chris’ Wunsch nach Kreativität – dem Erschaffen von Systemen und Unternehmen – widerspiegelt, und werde ausgerechnet bei einem gewöhnlichen Quadrat fündig. Das Quadrat steht für Präzision und Klarheit – in der Welt der Daten eine wesentliche Eigenschaft. Zu unterschiedlichen Mustern und Formen zusammengesetzt, ergibt es ein geordnetes System, das effizient analysiert und zu Erkenntnissen verdichtet wird. Gleichzeitig vermittelt das Quadrat Stabilität und Skalierbarkeit – als strategischer Baustein, um Startups modular und systematisch zu entwickeln.

Im Logo wird es im Verhältnis des goldenen Schnitts gedreht. Ein Wechselspiel zwischen Ordnung und Dynamik – das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen, sichtbar durch eine neu eingebrachte Perspektive: Jene von Allard.

Das Quadrat zieht sich konsequent durch alle visuellen Elemente des Brandings und bildet die Basis für Icons, Infografiken und die Bildwelt.

In den Fotografien des dänischen Fotografen Klaus Vedfelt interagieren Personen mit den geometrischen Formen – sie treten in Beziehung zu ihnen, bewegen sich um sie herum oder durchbrechen sie.

So entsteht eine Spannung zwischen Abstraktion und Menschlichkeit, die dem Design eine greifbare, persönliche Dimension verleiht.

Ein seriöses, mattes Dunkelblau suggeriert Verlässlichkeit, ein kräftiges Rot schafft Dynamik. Ergänzt werden sie um ein grelles Cyan, das Elemente und Inhalte wie ein Leuchtstift hervorhebt. Die rundliche Schrift Silka der spanischen Font Foundry atipo greift die geometrische Formensprache auf und schafft einen harmonischen Kontrast zur scharfkantigen Bildwelt.

Das Notizbuch soll ermutigen groß zu denken und an die eigenen Ideen zu glauben.

Design: Florian Hämmerle

Conclusio

Ich gebe zu, es fällt mir schwer, in nur wenigen Worten zu beschreiben, was ich aus diesem Projekt mitnehme. Vielleicht ist es die Freude daran, über meinen Schatten zu springen und wieder selbst zu gestalten. Zu oft scheiterte ich an meinen eigenen Ansprüchen und kam über den ersten Strich nicht hinaus, weil er sich sofort falsch anfühlte. Das Projekt mit Chris Griessmann hat nicht nur meine Begeisterung für visuelle Gestaltung neu entfacht, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung mit Identität ermöglicht.

Denn beim Gestalten kommen Eindrücke und Ideen, die sich rein rational nicht finden lassen.

Vielleicht ist es aber auch die Bestätigung einer Idee, die mich schon lange begleitet. Chris’ Persönlichkeitsanalyse war für mich ein Schlüsselelement. Sie half mir ein kohärentes System zu entwickeln, das strategisch, textlich und visuell zur Markenidentität passt. Heute betrachte ich dieses Projekt als Ausgangspunkt für eine Serie von Personal Branding Workshops, die ich gemeinsam mit Astrid Platzer – einem Identitätscoach – ins Leben rufe. Unser Ziel: das Thema jungen Selbständigen und kleinen Unternehmen zugänglich zu machen und Menschen zu ermutigen, ihre Identität nach außen zu tragen – mit den Ecken und Kanten, die dazugehören.

Denn genau das macht uns einzigartig. Und starke Marken auch.


Made by David

Jörg Kahlbacher
Programmierung