Archetyp:innen
Notes on Branding
In meinen Workshops und Vorträgen arbeite ich mit realen Persönlichkeiten aus unserer Geschichte, um das Modell der Archetypen greif- und nachvollziehbar zu machen. Das Ziel ist es, den Teilnehmenden zu ermöglichen, gewisse Züge an sich selbst wiederzuentdecken, Identifikation zu ermöglichen und dadurch Wesentliches über Werte und Persönlichkeit zu erfahren – dem Kern einer Marke. Das funktioniert in der Regel gut – sowohl im Kollektiv als auch in der Arbeit mit Einzelnen.
Nur einmal misslang das auf ganzer Linie: Denn eine Studierende meinte, dass sie sich mit „all diesen Männern“ nicht identifizieren könne und schloss daraus, dass es sich bei den Archetypen um ein rein männliches Konzept handle.
Das Modell fördere Sexismus, war sie überzeugt. Und da sei es für sie falsch, es für sich selbst oder ein eigenes Unternehmen anzuwenden.
Dass mich das beschäftigt hat, ist eine Untertreibung.
Und mir wurde schlagartig bewusst, dass meine Vorträge, in denen ich auf ein ausgewogenes Bild Wert lege und mich kritisch mit Stereotype in der Markenkommunikation auseinandersetze, an einem Punkt rigoros scheitern: Sie zeigen fast ausschließlich männliche Beispiele aus unserer Geschichte. Meine Begründung klingt retrospektive wie eine Ausrede: Ich habe wenige weibliche Beispiele gefunden, die ich nicht extra vorstellen muss.
Hab ichs mir zu einfach gemacht? Oder hat die Studierende recht und es handelt sich bei Archetypen tatsächlich um ein rein männliches Konzept?
Um die Frage zu beantworten, macht es Sinn, sich mit dem Begriff des Archetypen auseinanderzusetzen:
Ein Archetyp beschreibt zunächst einmal „nur" ein Verhaltensmuster – eine Art Grundorientierung, die wir als Menschen an den Tag legen. Eine wiederkehrende Strategie, wie wir unsere Wege bestreiten, auf Herausforderungen reagieren und unsere Identität ausdrücken.
Jungs prominentester Archetyp, der Held, macht diesen Gedanken greifbar: Er steht für den Willen und die Bereitschaft für eine Überzeugung, eine Sache oder Person zu kämpfen – auch wenn das persönliche Opfer erfordert. Das gilt natürlich genauso für die von ihm nicht explizit genannte Heldin.
Vermutlich kennen wir alle Menschen aus dem Alltag – ganz unabhängig von Geschlecht oder Orientierung –, auf die dieses kämpferische Grundmuster auf der ein oder anderen Weise zutrifft. Die sich durchsetzen wollen und sich auch dann noch für eine Idee stark machen, wenn sie aussichtslos erscheint. Und doch wird dieses Verhalten vorwiegend mit Männern assoziiert. Woher kommt das?
Der Eindruck eines typisch männlichen und damit untypisch weiblichen Verhaltens ist von unseren Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit geprägt. Und damit abhängig von unserer Erziehung, vorgelebten Rollen und gesellschaftlichen Vorurteilen. Dabei handelt es sich häufig um Zuschreibungen, die ein Verhalten als adäquat, also „erwünscht“, oder inadäquat, als „unerwünscht“, bewerten.
Ein Mann, der sich durchsetzt, gilt als charakterstark. Eine Frau mit demselben Verhaltensmuster wird oft als aggressiv oder kaltherzig abgetan. Fällt beim Einen die Bewertung also positiv aus, ist sie bei der Anderen auffallend negativ. Das Verhalten an sich ist aber dasselbe.
Die Muster, die die Studierende als „männlich“ bezeichnet, sind es also nicht per se. Das werden sie erst durch unsere Interpretation und Bewertung. Und die sind von Bildern geprägt, die uns manchmal gar nicht so bewusst sind.
Für mich bedeutet das im Umkehrschluss, dass ich diesen Punkt in meinen Vorträgen nicht genügend klar mache. Mit der Auswahl an realen Personen – mehrheitlich Männern –, zementiere ich lediglich ein Vorurteil. Frauen wirken im besten Falle mitgemeint. Und daran ändert auch nicht, dass ich Archetypen bewusst gendere.
Ein Bias mit Geschichte
Während Verhalten an sich also vom Geschlecht völlig unabhängig beobachtet werden kann, ist seine Bewertung davon abhängig, wie wir sozialisiert wurden. Und wird damit durch einen weitreichenden Gender Bias beeinflusst, der in allen von uns arbeitet, auch in jenen, denen die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Geschlechter und Lebensentwürfe wichtig ist.
Dieser Bias hat Geschichte. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Er spiegelt sich nicht nur in der Selektion unserer Geschichtsschreiber wieder (ja, das ist bewusst nicht gegendert) – etwa welchen Frauen Beachtung geschenkt wird und welchen nicht. Sondern auch in der Darstellung jener Persönlichkeiten, die dann doch eine Rolle spielen (dürfen).
Eine Jeanne D´Arc etwa wirkt vermutlich nicht ohne Grund wie die Ausnahme zur Regel: Indem sie das Schwert ergreift, stellt sie das männliche Bild von Rittertum in Frage und unterstreicht gleichzeitig, wie unweiblich dieses Verhalten doch scheinbar ist. Das Untypische ist Teil ihres Mythos. Zugleich wird es damit aber auch zur Aussage.
Königin Kleopatra wird oft als kalte, kalkulierende Frau dargestellt, die ihre weiblichen Reize dazu einsetzt, ihre Macht zu festigen und ihre (männlichen) Widersacher auf die Knie zu zwingen. Damit wird ihre Persönlichkeit auf ein Klischee reduziert, das auch heute noch Frauen in Machtpositionen angedichtet wird.
Eine oberflächliche Suche nach Beispielen führt also schnell in eine Sackgasse, die ich gar nicht erst beschreiten will. Und mir wird schnell bewusst, dass ich Hilfe brauche, wenn ich klischeehafte Überspitzungen vermeiden will: Immerhin möchte ich echte und für Frauen wie Männer inspirierende Beispiele für mein Modell.
Also bitte ich die Gestalterin Andrea Holzner um Hilfe. Und möchte durch sie jene Geschichten von übersehenen und doch einflussreichen Frauen finden, die es wert sind, erzählt zu werden. Ihre Auseinandersetzung beginnt da, wo es am meisten Sinn macht: bei den Ursachen unseres Bias.
Was hat das mit Branding zu tun?
Marken erzählen Geschichten. Geschichten brauchen Charaktere. Es liegt in unserer Verantwortung als Gestalter, wie wir diese Charaktere entwickeln. Ob wir es uns leicht machen und unreflektiert Stereotype und Klischees weitertragen oder ob wir uns um komplexe und dadurch erst greifbare Persönlichkeiten bemühen – also Menschen, die in Kern und Wesen auch wirklich einzigartig sind.
Eben ganz so, wie auch Marken sein wollen.
Wusstest du schon?
Das Gisler Protokoll macht in Studien auf Stereotype in der Schweizer Werbelandschaft aufmerksam. Die Initiative hat dabei 10 häufig wiederkehrende Muster identifiziert – eine davon ist das „Cool Girl“, dem das Titelbild nachempfunden ist. Gisler beschreibt das Stereotyp so: „Das Cool Girl ist nicht wie jede andere typische Frau. Das Cool Girl isst gerne Burger, rülpst, flucht und ist auch sonst einfach eher so cool wie ein Mann und nicht so bieder wie eine Frau.“ Na dann.
Weiterführende Links:
Catalyst – Workplaces that Work for Women, #biascorrect-Kampagne 2021
CPB London, Imagine a World …
Gislerprotokoll, Official Homepage
Florian Hämmerle
Autor
Danil Nevsky
Fotografie
stocky.com