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Text:
Andrea Holzner

Grundbedürfnisse im Branding
Brand Positioning

Warum mach ich das eigentlich? Dieser Gedanke besucht uns alle ab und zu, bei manchen ist er Dauergast. Wenn uns ein Ziel fehlt, eine klare Ausrichtung, nach der wir unser Leben strukturieren, verlieren wir den Halt. Man wankt zwischen verschiedenen Extremen hin und her und findet unter all den konkurrierenden Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen kein Gleichgewicht.

Das Motiv der Sinnsuche finden wir überall, wo es Geschichten gibt.

Auch Marken erzählen Geschichten. Und Geschichten brauchen einen Helden. C.G. Jungs Archetypen bilden die ideale Brücke zwischen Storytelling und Identität einer Marke. Sie stehen für ein intuitiv verständliches Verhalten, schaffen Persönlichkeit nach außen und Identifikation nach innen. Als Symbole verkörpern sie, was uns zu Menschen macht: unsere individuelle Suche nach Sicherheit oder Veränderung, nach Gemeinschaft oder Selbstverwirklichung.

Marketing without a system for managing meaning is analogous to ancient navigators trying to find port in treacherous seas or a starless night. What they need is an enduring and reliable compass – a fixed place that illuminates both where they are and where the must go.

"The Hero and the Outlaw"
Margaret Mark / Carol S. Person

Welche Bedürfnisse beeinflussen uns bei der Suche nach Sinn? Und wie kann uns dieses Wissen dabei helfen, Marken aus der Orientierungslosigkeit zu führen? Diesen Fragen nimmt sich Teil 1 des Artikels an.

Teil 2 beleuchtet im Anschluss das Prinzip der Archetypen nach C. G. Jung genauer und erklärt, wie sie eine Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ geben können. Dieser Teil gibt außerdem eine Übersicht über alle 12 Archetypen an die Hand.

Maslows Bedürfnispyramide mit hierarchischem Aufbau

Maslows Bedürfnispyramide hat einen streng hierarchischen Aufbau.

Falafel vor Selbstfindung:
Die Bedürfnispyramide nach Maslow

Aus dem Fenster eines offenen Wohnhauses zieht eine Wolke an buttrig gebratenen Zwiebeln, ein Windstoß trägt eine Woge Falafelduft vorbei, während es von einem Obststand ums Eck einladend nach Melone riecht. Wer schon einmal ausgehungert in der Stadt unterwegs war, weiß, wie das Hungergefühl alle anderen Eindrücke und Bedürfnisse überschatten kann.

Diese Hierarchie der Bedürfnisse assoziieren wir mit niemandem mehr als mit Abraham Maslow, US-amerikanischer Psychologe des 20. Jahrhunderts. Maslows bekannte Bedürfnispyramide geht von einer hierarchischen Struktur aus: Er stellt fest, dass manche der Bedürfnisse eine höhere Priorität als andere haben. Er unterteilt die Bedürfnisse in eine Pyramide mit 5 aufeinander aufbauenden Stufen.

Während das hungrige Vorbeispazieren am Falafelstand natürlich ein privilegiertes Beispiel für Hunger ist, zeigt es gut, dass zunächst unsere physiologischen Grundbedürfnisse gestillt sein müssen, um etwa Kapazitäten für Fragen nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu haben. Erst, wenn die grundlegendsten Bedürfnisse befriedigt sind, kann sich der Mensch der nächsten Stufe zuwenden.

Befriedigtes Verlangen hört auf, Verlangen zu sein. Der Organismus wird von unbefriedigten Bedürfnissen beherrscht, die das Verhalten bestimmen.

"Motivation und Persönlichkeit"
Abraham Maslow

In der Praxis sind Bedürfnisse aber natürlich kein starres Gerüst. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Stufen sind oft fließend und verschiedene Bedürfnisse existieren zeitgleich. Maslow selbst korrigierte die Auslegung seiner Theorie im Nachhinein:

„Bisher hat unsere theoretische Diskussion möglicherweise den Eindruck erweckt, dass diese fünf Sätze von Bedürfnissen irgendwie in einer sukzessiven Alle-oder-keine-Beziehung zueinander stehen. Wir haben es so formuliert: ‚Wenn ein Bedürfnis erfüllt ist, so entsteht ein anderes.‘ Diese Aussage könnte den falschen Eindruck schaffen, dass ein Bedürfnis zu 100 Prozent erfüllt sein muss, bevor das nächste entsteht.“

die 4 gegensätzlichen Pole von Maslows Modell mit Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit, Sicherheit, Zugehörigkeit

Pearson und Mark reinterpretieren Maslows Modell in Form von gegensätzlichen Polen.

Immer im Zwiespalt:
Das Modell nach Mark und Pearson

Ein weiteres Erklärungsmodell der menschlichen Grundbedürfnisse entwickelten Margaret Mark und Carol S. Pearson. In ihrem Buch „The Hero and the Outlaw“ stellen sie ein Schema vor, das die Bedürfnisse anhand von Polen charakterisiert. Dabei stehen sich zum einen Zugehörigkeit und Unabhängigkeit, zum anderen Sicherheit und Selbstverwirklichung gegenüber.

Life requires constant negotiation along these poles. When we sacrifice one end of one of these continua to the other end, there is a tendency in the psyche to seek balance.

"The Hero and the Outlaw"
Margaret Mark / Carol S. Person

Während sich manche Menschen klar zu bestimmten Polen hingezogen fühlen, ist es für die meisten ein Prozess des ständigen Abwägens. Wünsche konkurrieren, verändern sich, werden gestillt oder bleiben unerreicht.

 

Zwischen Auenland und Abenteuer

Eine Figur, an der man diesen Zwiespalt gut beobachten kann, ist Bilbo Beutlin aus J.R.R. Tolkiens „Der Hobbit“. Eines Morgens wird Bilbos beschauliches Leben unerwartet vom Zauberer Gandalf gestört, der ihn für eine abenteuerliche Mission rekrutieren möchte. Doch Bilbo zaudert. Er ist hin- und hergerissen zwischen der Furcht, die Sicherheit des vertrauten Auenlands hinter sich zu lassen und dem neu geweckten Ehrgeiz, sich selbst zu beweisen.

Es war ein schöner Morgen, als ein alter Mann bei Bilbo anklopfte. »Wir wollen hier keine Abenteuer, vielen Dank«, wimmelte er den ungebetenen Besucher ab. »Überhaupt, wie heißen Sie eigentlich? « - »Ich bin Gandalf«, antwortete dieser. Und damit dämmerte es Bilbo: Das Abenteuer hatte schon begonnen.

"Der Hobbit"
J.R.R. Tolkien

Bilbos Beispiel zeigt, dass die Verortung zwischen den Bedürfnispolen nicht starr ist. Auch wenn der Ruf des Abenteuers am Ende stärker ist, sehnt er sich in Krisenmomenten immer wieder in seine vertraute Höhle zurück.

Anstatt einen Charakter also punktuell im System der beiden Achsen zu verorten, darf man ihm ruhig etwas Spielraum zugestehen. Diese Varianz ließe sich beispielsweise durch die Verortung der Archetypen mittels Flächen darstellen.

Archetypisches Positionierungsmodell lt. "Markenbrand, Zeitschrift für Markenstrategie"

Archetypisches Positionierungsmodell lt. "Markenbrand, Zeitschrift für Markenstrategie"

Quelle: Hochschule Neu-Ulm, 6/18

Das Bauchgefühl entscheidet

Auch wenn potentielle Käufer*innen wohl eher selten zwischen einem Abenteuer mit einer Horde Zwerge oder dem beschaulichen Leben zuhause wählen müssen, ist auch ihr Alltag geprägt von einer Vielzahl an Entscheidungen. Und genau wie Bilbo treffen auch sie die meisten davon aus dem Bauch heraus.

Mit wenigen Mausklicks lassen sich heute unzählige Unternehmen mit denselben inhaltlichen Schwerpunkten vergleichen und gegeneinander abwägen. Allein 2021 gab es in Deutschland über 87.000 neue Markenanmeldungen (Quelle: DPMA). Am Ende fällt die Entscheidung aber nicht nur anhand objektiver Kriterien, sondern auch basierend auf (unbewussten) Emotionen und Bedürfnissen. Mit welchem Anbieter können wir uns am meisten identifizieren? Wer adressiert unsere Bedürfnisse am besten? Ein vorsichtiger, sorgenvoller Mensch wird immer das Unternehmen beauftragen, das ihm am meisten Sicherheit vermittelt.

Erfolgreiche Markenkommunikation muss sich also bewusst werden, welche Wünsche und emotionalen Bedürfnisse ihre Zielgruppe antreibt.

In dem Wissen um die Verletzlichkeit und Wünsche liegt aber auch Verantwortung. Wo verläuft die Grenze zwischen der fairen Ansprache eines Bedürfnisses und der Ausnutzung menschlicher Ängste?

Diese Frage ist schon in der Theorie nicht leicht zu beantworten, in der Realität ist die Abgrenzung oft noch komplexer. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Sich selbst zu hinterfragen und offen für Kritik zu bleiben, ist daher unerlässlicher Bestandteil guten und ehrlichen Brandings. Am Ende ist die Kommunikation da, um Kund*innen zu erreichen und ein Gespräch zu beginnen – abliefern muss der tatsächliche Service.

 

Aus Viele mach Vier:
Die Grundbedürfnisse im Detail

Während die vorgestellten Modelle zwar aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln auf die Sehnsüchte der Menschen blicken, beschreiben sie doch im Kern dieselben vier Bedürfnisse. Lediglich deren genaue Bezeichnung und die Darstellung ihres Verhältnisses zueinander variieren.

  • Stabilität/Sicherheit
    Fokus: Sicherheit, Schutz, Ordnung, emotionale Stabilität und Wohlbefinden, gesundheitliche und finanzielle Sicherheit; Wunsch: „Ich bin in Sicherheit“
  • Gemeinschaft/Zugehörigkeit
    Fokus auf menschlicher Interaktion: Bedürfnisse nach Liebe und Zugehörigkeit (Freundschaften, Familie); Wunsch: Körperliche und emotionale Intimität: „Ich werde geliebt“ und „Ich gehöre dazu“
  • Geltung/Individualität
    Fokus auf Selbstwert: Status, Erfolg, Anerkennung; Wunsch: Eigenen Wert definieren und vergrößern: „Ich bin wertvoll“
  • Selbstverwirklichung/Sinn
    Fokus auf Wachstum/Potential: Bildung, Entwicklung von Fähigkeiten, Kreativität, Talent; Wunsch: Seinen Abdruck hinterlassen, Sinn finden: „Ich bewirke etwas“

Auch wenn wir auf die zu Beginn gestellte Frage „Warum mache ich das eigentlich?“ immer noch nicht selbstbewusst beantworten können – vielleicht reicht es schon, die richtige Frage überhaupt einmal zu stellen. Manchmal bringt uns unsere Intuition weiter, als es rationale Überlegung jemals geschafft hätte.

Wie man Intuition im Brandingprozess für sich nutzen kann und wo genau C. G. Jungs Archetypen ins Spiel kommen, darum geht es im nächsten Teil des Artikels.