#012

Text:
Florian Hämmerle

Mach deinen Weg
Case Study

2015 wurde der Recruiter epunkt neu gebrandet, die gesamte Kommunikation auf den Kandidaten und seine Wünsche ausgerichtet. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2019, der Relaunch ist 4 Jahre her und epunkt seit einiger Zeit österreichischer Marktführer. Das Unternehmen zählt nun knapp 170 Mitarbeiter und besetzt jährlich etwa 1.600 Positionen.

Der Recruiting-Markt ist inzwischen gesättigt, der Raum für Wachstum wird immer enger. Neue Sales-Strategien lassen den Ruf nach einer B2B-Kampagne lauter werden. Zeitgleich drängt eine neue Generation an Arbeitssuchenden auf den Markt, die Generation Z. epunkts Sinnkampagne scheint bei ihr nicht wirklich zu greifen.

Ein Überblick über epunkts Zielgruppen.

Ein Überblick über epunkts Zielgruppen.

Wir machen also einen Schritt zurück, um uns die Marke nochmals als Ganzes anzusehen. Wir verwenden dazu dieselbe Methodik, die bereits vor vier Jahren zum Einsatz gekommen ist und vergleichen die Erkenntnisse. Immerhin stellen sich manche ganz offen die Frage, ob die Marke überhaupt richtig positioniert sei.

Das Ergebnis ist erfreulich: epunkt zeigt immer noch das Entdecker-Gen, Individualität und Neugierde sind die stärksten Motivatoren in der Belegschaft – sogar stärker noch als 2015.

Die Marke drückt damit genau das aus, was epunkt im Kern ausmacht. Es kommen aber einige neue Aspekte hinzu.

Dann ist ja gut. Oder?

Die gute Nachricht hat einen gewaltigen Schönheitsfleck, denn sie legt auch das Problem offen: Der Entdecker ist mit den neuen Zielgruppen nicht unbedingt kompatibel. Spitz formuliert, versprechen Entdeckermarken Aufregung und Abenteuer. Bei der Generation Y (Kernzielgruppe der Marke noch vor vier Jahren, Anm.) erzeugt das Resonanz. Andere Zielgruppen schreckt das eher ab:

Geschäftskunden suchen Garantien, die nur ein Marktführer bieten kann: Sie stehen unter Druck und müssen vakante Stellen trotz Fachkräftemangel zuverlässig besetzen. Die Generation Z sehnt sich in ihrer Berufswahl nach Stabilität und Sicherheit. Sie braucht jemanden, der an sie glaubt und ihr hilft, Fehlschritte zu vermeiden. Und die Teilnehmer am Campus (epunkts Ausbildungsstätte für HR-Mitarbeiter unterschiedlichster Unternehmen, Anm.) wollen mit neuem Know-how besser und erfolgreicher rekrutieren.

Damit sind drei Grundmotive in den vier zentralen Zielgruppen vertreten und die lesen sich teils konträr: Sicherheit, Geltung und Selbstverwirklichung. epunkts Sinnkampagne beantwortet aber nur eines davon: das Bedürfnis nach Verwirklichung.

In einem frühen Meeting scherze ich noch, dass ein Abenteuer wohl das Letzte sei, was ein Kunde bei epunkt sucht. Klassisch verschrien.

Mit den neuen Erkenntnissen fühlt sich unsere Aufgabe, die bestehende Kampagne an die jüngere Generation anzupassen und um die Zielgruppen B2B und den Campus zu erweitern, einfach nicht richtig an. Isoliert funktionieren unsere ersten Entwürfe zwar gut, spätestens in Medien, in denen die unterschiedlichen Aussagen aufeinandertreffen, funktionieren sie aber nicht mehr. Sie erzeugen sogar Widersprüche. Die Marke verliert an Fokus.

Das beschäftigt mich. Und auch Sam Zibuschka (der für Marketing verantwortliche Vorstand bei epunkt, Anm.) vermisst den Mut in den neuen Vorschlägen. Wir betreten daher Neuland und entscheiden uns, das einzig Richtige zu tun. Wir ignorieren die bisherige Kampagne komplett – und damit auch das Briefing.

Fussabdruck am Mond des epunkt Astronauten

epunkts Vision in einem GIF: Der Fußabdruck am Mond. War die Mondlandung also doch ein Fake?

Animation: Franziska Safranek

Von der Kampagne zum Keyvisual

Gemeinsam mit Daniel Kovacs, einem großartigen Wortkünstler und Konzepter, suchen wir eine Figur, die all das verkörpern soll, was epunkt ausmacht: Einen Entdecker und Pionier, der den Wunsch und den Mut hat, neue Wege zu gehen, Risiken einzugehen, Grenzen zu hinterfragen und seine Welt zu verändern.

In einem abendlichen „Brainstorming“ gebären wir schließlich epunkts Astronauten.

Und mit ihm eine visuelle Klammer, die die unterschiedlichen Botschaften zusammenhält und epunkts Storytelling als narrativer Anker dient. Aus vorerst isolierten Kampagnen sollen so Handlungsstränge ein und derselben Erzählung werden. Der Protagonist ist die Konstante, die Handlung passt sich dem Kontext an.

epunkts Identität und Haltung ziehen sich durch – in allem, was sie tun. Der Astronaut soll genau gleich funktionieren.

Der Astronaut verkörpert die Identität und Haltung epunkts. Er ist Ikone und Vorbild, steht für Exzellenz und epunkts Neigung, groß zu denken. Vor allem aber verkörpert er die menschliche Fähigkeit, seinen Träumen zu folgen und beim Griff nach den Sternen über sich selbst hinauszuwachsen.

Doch als Symbol ist er noch zu plump. Erst die überraschende Wendung macht seine Geschichte spannend. Deshalb bringen wir den Astronauten (zugegeben etwas unsanft) auf die Erde zurück. Und schaffen ein tragikomisches Bild eines Helden, der irgendwie vom Himmel gefallen scheint und sich nun zurück zu den Sternen sehnt.

Heute bin ich mutig.

Am Abend nach dieser „Brainstorming“-Session starre ich an die Decke. Ich kann kaum einschlafen. Ich überlege, wie ich Sam diese Idee erklären soll, immerhin möchte er morgen ein Update. Unsere Lösung ergänzt die ursprüngliche Kampagne nicht; Im Gegenteil: sie wirft sie über den Haufen. Thema verfehlt. Setzen. Fünf?

Am Telefon schildere ich ihm unsere Idee. Ich rechne mit dem Schlimmsten, also texte ich ihn regelrecht nieder: Ein minutenlanges Staccato. Als ich endlich Luft hole, sagt er nur: „Geil.“

Danke, Sam.

Zwei Wochen später präsentiere ich unsere Idee vor dem versammelten Vorstand von epunkt. „Heute bin ich mutig“ ziert als Titel eine meiner Folien. Der Vorstand zeigt sich hochgradig irritiert, aber zu meinem Glück auch ziemlich begeistert. Wir bekommen das „Go“, es dauert aber eine Weile, bis ich das auch realisier.

Wir skalieren also das Team, und holen mit Marlene Leichtfried eine erfahrene Projektmanagerin und Konzepterin an Bord, die schon im Rahmen der Vienna Design Week komplexe Projekte auf den Boden gebracht hat. Einer ihrer Kontakte, Elli Schindler vom Produktionsstudio apart, soll uns in der Planung, Organisation und Umsetzung des Shootings unterstützen.

Noch einmal zwei Wochen später bestellen wir bereits ein sündhaft teures Replikat des Raumanzugs von Neill Armstrong und erfüllen dem Studenten Urban Niedermayr seinen geheimen Kindheitstraum: Er wird Astronaut.

Die Macht der Irritation

Irritation ist ein wirkungsvolles Instrument. Im Branding, wie auch im Marketing. Denn Irritation schafft Aufmerksamkeit und brennt sich ins Gedächtnis. Niko Havraneks schonungslos ehrlicher Fotografiestil verstärkt diesen Effekt noch zusätzlich. Die Bilder wirken wie aus dem Leben gegriffen – so ungekünstelt und echt, wie ein Astronaut im Würstelstand eben wirken kann.

Gerade deswegen funktioniert die Figur auch so gut: Das Irritierende fällt auf, die Marke erhält Sichtbarkeit für ihre Botschaften – und das scheinbar mühelos.

Die Figur funktioniert in jedem beliebigen Medium: Als Keyvisual für Print und Web, in Microstories auf Social Media, sogar im Guerilla Marketing als Partycrasher. Als Symbol für epunkts Markenpersönlichkeit kann er jedes Thema kommunizieren, ohne den Fokus der Marke zu verwässern. epunkt bleibt stets der mutige Pionier und Entdecker, erhält aber auf Kommunikationsebene mehr Freiheit, neue Themen und Produkte zu platzieren.

Noch während des Shootings wird der Astronaut zum Star. Inoffiziell, wohlgemerkt, denn die Mitarbeiter von epunkt dürfen eigentlich noch gar nichts wissen. Die Geheimhaltung des Shootings wird zu einer schier unmöglichen Aufgabe. Wien hat viele Einwohner. Und völlig egal, wo wir mit dem Astronauten auftauchen, er fällt auf und wird schon früh in privaten Instagram-Stories verewigt.

Während des Shootings bekommt Daniel Marwan [der Gründer von epunkt, Anm.] eine Whatsapp-Nachricht eines Bekannten, der sich wundert, warum ein Astronaut mit epunkt Logo im Stadtpark steht und die Schwäne füttert.

Memo an mich selbst: das Logo auf dem Revers war eine schlechte Idee.

And the Astronaut goes to …

Für erfolgreiches Branding braucht es ein talentiertes Team. Mehr als ein Duzend Kreative bringen ihre Ideen und Fähigkeiten ein und erschaffen vier Erzählstränge, die in Texten und Bildern die Bedürfnisse der zentralen Zielgruppen ansprechen. Über 700 Fotografien sind Niko Havraneks Output aus 8 Tagen Shooting an mehr als 20 unterschiedlichen Locations in Wien. Dazu kommen etwa 300 Sideshots von Franziska Safranek, die sich auch für etwa 60 GIFs für Social Media verantwortlich zeichnet. Gemeinsam mit Andrea Holzner dokumentiere ich das Shooting mit einem unterhaltsamen Making Of.

Der Gestalter Vinzenz Luger, Art Director hinter dem grafischen Rebranding 2015, entwirft ein neues und zeitgemäßes Layout für mehr als 30 werbliche Sujets. Er übersetzt die 5 Jahre alte Marke behutsam und doch bestimmt in die Gegenwart. Und die Linzer Webagentur Fredmansky wird mit dem Design und der Programmierung der Website beauftragt.

epunkt Astronaut beim Sektsprühen

epunkt Astronaut beim Sektsprühen

Animation: Franziska Safranek

Bemerkenswert finde ich, wie viele der Sujets, Fotografien und Texte völlig spontan und ungeplant entstehen. Der Output des Projekts übersteigt bei Weitem das definierte Ziel – kein Wunder, denn das Team hat Spaß und erhält von epunkts Marketingleiter Tom Niedermair viele Freiheiten. Wir genießen damit ein Vertrauen, das wir bis zu diesem Moment noch von keinem Kunden erlebt haben.

Schlussendlich steht Mitte März 2020 der lang ersehnte Brand Launch vor der Tür. Und mit ihm Glanz und Glorie. So denken wir.

Dann kommt die Pandemie.

Kunde: epunkt GmbH. Branche: Personalberatung, Recruiting. Region: Linz, Wien, Graz. Zielmarkt: Österreich. Kategorie: Kampagne. Projektumfang: Dachmarkenstrategie, Zielgruppenanalyse, Storytelling-Konzept, Claimentwicklung, Text, Slogans, Grafik Design, Bildkonzept, Fotografie, Plakate, Social Media, Animation, Guidelines, Bildbearbeitung.

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