Be Part of the Equation
Case Study, ETIT
Was ist ein Brand Prototype? Ein Brand Prototype ist ein ehrgeiziger Entwurf, der strategisch mit dem Kunden vorbereitet und mit einem Designteam ausgearbeitet wird. Der Prozess endet nach der Entwurfspräsentation und wird vom Kunden selbst oder einer Drittagentur fortgeführt. Der Prototyp klammert also die Frage der Umsetzung bewusst aus. Das ist auch gut so: Denn die kommt im Entwurf oft zu früh und erstickt jeglichen Witz und Ehrgeiz, der starke Marken erst ermöglicht. Ein Prototyp denkt sorgenfrei Ideen, Botschaften, Medien und Kanäle durch und erarbeitet ein Was-Wäre-Wenn – ganz ohne Aber.
Ein Anfang mit Zögern
Ich wurde beauftragt, einen Entwurf für die neue Kommunikationslinie des ETIT zu entwickeln – dem Institut für Elektrotechnik an der TU Wien. Das Ziel: mehr junge Menschen für das Fach zu begeistern und so die Studierendenzahl zu erhöhen. Ein Auftrag, den ich ehrlicherweise zunächst ablehnte, um ihn ein Jahr später dann doch anzunehmen.
Warum ich ablehnte?
Ich glaubte, dass ich der Falsche für die Aufgabe sei.
Ich konnte mir einfach nichts Spannendes darunter vorstellen. Und wie hätte ich andere von etwas begeistern sollen, das mich selbst völlig kalt lässt? Erst später wurde mir klar, dass mein Bild der Elektrotechnik von Klischees beeinflusst war. Es war schlichtweg falsch.
Silvan Schmid, der stellvertretende Dekan der Fakultät, blieb zum Glück geduldig und hakte auch ein Jahr später noch einmal nach. Geschmeichelt und etwas betreten knickte ich also ein. Was Silvan nicht weiß: Seine Geduld ermöglichte mir eine der spannenderen Entdeckungsreisen meiner Laufbahn. Und die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Vorurteilen gegenüber Thematik und Profession entpuppte sich schnell als Spiegel eines gesellschaftlichen Klischees, das im Hinblick auf unsere Zukunft dringend korrigiert gehört.
Denn die Elektrotechnik ist nicht nur hochkreativ, vielschichtig und transdiziplinär. Sie ist überall, ist die Basis für viele Technologien, die unseren Alltag erst ermöglichen. Und nicht nur im Hinblick auf das Heute ist sie systemrelevant: Sie spielt eine maßgebliche Rolle für unser aller Zukunft.
Die Elektrotechnik bietet praktikable Ansätze, um den vielleicht größten Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen: allen voran dem Gelingen der Energiewende – und damit einer elementaren Maßnahme in der Bewältigung des Klimawandels.
Schon nach den ersten Gesprächen war mein Interesse nicht nur geweckt, es war hellwach. Und es wuchs mit jedem Schritt, den ich im Projekt setzte – gemeinsam mit einer selten so erlebten Begeisterung.
Die folgende Case Study geht auf jene Aspekte meiner Arbeit ein, die ich als besonders spannend erlebt habe. Das Projekt ist naturgemäß deutlich komplexer. Der Text vereinfacht also, wo es für den Lesefluss notwendig ist.
Ein Kratzen an der Oberfläche
Das Projekt beginnt klassisch. In Workshops arbeite ich mit Studierenden an ihrer persönlichen Sicht auf das Studium. Ich erfahre von der Herausforderung, die durch das Bologna-System entsteht. Von einem sehr intensiven Lehrplan, der in vergleichsweise wenig Zeit bewältigt werden muss. Von der Relevanz theoretischer Grundlagen – und dass die Mathematik das Fundament und die Sprache der Elektrotechnik darstellt.
Ich erfahre von Gesellschaftsbildern und Zukunftsträumen, erfüllten und unerfüllten Erwartungen. Vom qualitativen Unterschied zu den Fachhochschulen, von „fancy names“, die dort die Elektrotechnik attraktiver wirken lassen und vielleicht den Zulauf erklären. Von späteren Rollen im Berufsleben, Jobangeboten bereits mitten im Studium, Forschungsthemen und der Dynamik zwischen Studierenden und Dozierenden.
Die Diskussion ist überraschend emotional und energiegeladen. Und auch nach dem Workshop stehen wir noch einige Zeit zusammen und diskutieren – die Studierenden möchten gehört werden. Ich werd allmählich müde – too much input – kratze aber erst an der Oberfläche.
In den Gesprächen mit Dozierenden möchte ich tiefer graben, bei so vielen Themen nachhaken. Dabei lerne ich spannende Sichtweisen und Haltungen kennen. Mein Bild, das ich von der Elektrotechnik bis dahin habe, bröckelt fleißig vor sich hin.
Wir sprechen etwa über die Transformation unserer Gesellschaft und wie eine lebenswerte Welt von morgen aussehen kann. Über die tragende Rolle der Elektrotechnik in der Digitalisierung, Telekommunikation, Automatisierung, e-Mobilität, Klimawandel, Robotik und Sensorik. Über nachhaltige Energien, die nun einmal Strom erzeugen. Über die Gewinnung, Speicherung, Verteilung und Umwandlung von Energie.
Wir sprechen über Projekte, Startups und Patente, die vielleicht einmal die Welt verändern. Im Großen, wie auch im Kleinen. Über die zentralen Aufgaben einer Universität – Forschung und Lehre – und warum die nicht immer einfach zu vereinen sind. Über Klischees und Rollenbilder, die dem Image schaden – „Spulenwickler“ und „Platinenlöter“ – und die dringend benötigte Aufklärung. Über Frauen in der Technik und ihre ganz eigenen Herausforderungen. Über Kooperationen mit der Wirtschaft, der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft. Über Grundlagenforschung und Bildung als Selbstermächtigung. Und über die Sorgen einer ganzen Generation, die sich in ihrer Ohnmacht auf die Straße klebt.
Die Komplexität überwältigt mich – bei aller Faszination, die sie in mir auslöst.
Viel wichtiger ist aber eine Erkenntnis, die sich regelrecht aufdrängt: Denn es scheint kein Wunder, dass es dem Institut schwerfällt, ihre Inhalte einer breiten Masse zu erklären – vor allem jungen Maturierenden der AHS, die sich unter der Elektrotechnik nichts oder allerhöchstens etwas Falsches vorstellen. Das Thema ist einfach zu vielschichtig.
Als ich anmerke, dass die Sprache einfacher werden müsse, begegne ich allerdings Skepsis – bei Studierenden wie auch Dozierenden. Denn die Wissenschaft sei nunmal komplex, Marke aber vereinfacht.
Ein Widerspruch?
Das Leiden einer jungen Generation
Gemeinsam mit einem kleinen Team an Studierenden definieren wir die Zielgruppen, die es zu erreichen gilt. Wir suchen Schnittmengen – zwischen dem, was die Thematik jungen Menschen zu bieten hat, und ihren tatsächlichen Bedürfnissen. Vor allem zwei Notizen aus den Interviews interessieren mich dabei besonders: Das Thema der Ohnmacht. Und Bildung als Selbstermächtigung.
In meiner Vorbereitung stolpere ich über eine Vielzahl an Studien zur Generation Z, den derzeit Maturierenden. Eine Befragung aus dem Jahr 2019 beschäftigt sich mit dem Selbst- und dem Zukunftsbild der jungen Generation und liefert erschütternde Erkenntnisse: 61% der 18- bis 24-Jährigen glauben, sie müssten die Fehler der älteren Generationen ausbaden. 68% der Befragten finden, die Welt sei für sie schwieriger und satte 71% fühlen sich in ihren Sorgen missverstanden oder sogar im Stich gelassen.
Der Klimawandel bedroht unseren Lebensraum, ein Krieg wütet in Europa, eine Pandemie vereinzelt die Jugend mitten in einer kritischen Phase ihrer Entwicklung. Ein Klima der Angst hinterlässt Spuren – gerade in der Psyche einer Generation, der es noch an festigenden Erfahrungen fehlt.
Erscheint die Welt unsicher, wird der Wunsch nach Sicherheit zu einem wesentlichen Kriterium in vielen Entscheidungen – etwa in der Wahl des Berufs und damit des Studiums. Und sogar der exzessive Konsum digitaler Medien – er übersteigt nach einer Studie der FAZ zwei volle Tage in der Woche – und die Ablehnung klassischer Informationsmedien wie Zeitungen, Magazinen oder sogar Fernsehen wird vor diesem Hintergrund nachvollziehbar:
Die virtuelle Welt lockt mit vergleichbar simplen Regeln. Unerwünschte (oft beängstigende) Information dringt in meine Bubble nur, wenn ich das auch wirklich will.
Da verwundert es wenig, wenn Experten eine Parallele zu einer anderen Entwicklung ziehen: die Suizidalität junger Menschen steigt rapide, so auch die Anzahl ernsthafter psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen.
So viel zum Thema Ohnmacht.
Das tut weh.
Bildung als Selbstermächtigung
Über die Studien finde ich zwei Anker effektiver Kommunikation – Resonanz und Relevanz. Die beiden Begriffe sind einfach umrissen: Kommunikation, die einen anderen in seinen Bedürfnissen ernst nimmt, verschafft sich automatisch Gehör – das Grundprinzip der Resonanz. Kommunikation, die für die Sorgen anderer Lösungen anbietet, erzeugt Relevanz – rein sachlich, aber auch emotional.
Große Marken wissen um diese Effekte. Und nutzen sie gezielt.
Aber selten trifft Substanz und Botschaft so überzeugend aufeinander wie bei einer Universität. So auch in diesem Fall: Denn das Studium der Elektrotechnik kann das Sicherheitsbedürfnis der jungen Generation gleich auf mehreren Ebenen erfüllen: Als Garant für einen gut bezahlten Job – TU Absolventen können sich ihren Arbeitgeber regelrecht aussuchen. Und als Möglichkeit, eine für sie bessere Welt mitzuerschaffen, Lösungen für die großen Veränderungen zu finden, die unsere Gesellschaften fordern.
Mit erlernbarem Wissen kommt auch ein Gefühl von Kontrolle zurück. Das Studium liefert die Werkzeuge, die eigene Zukunft aktiv zu gestalten, anstatt sich ihr auszuliefern.
Der Studierende wird zur Variable einer noch ungelösten Gleichung: Zukunft. Das Bild mag ich.
Damit steht auch die Kernbotschaft des Markenentwurfs, um den ich die Inhalte organisiere, und ich beschließe das Team zu erweitern. Ich möchte die Botschaft auch visuell transportieren – und als eingerosteter Grafiker brauche ich dafür Hilfe, sofern ich nicht an meinem eigenen Anspruch scheitern will.
Be part of the equation
Es fällt nicht besonders schwer, die Grazer Designagentur RAWTY für das Projekt zu begeistern. Das junge Team um Tessa Huber, Sophia Stöhr und Christian Leban möchte ihre Fähigkeiten sinnvoll einsetzen, Impact erzeugen. Purpose Driven Design nennen sie das – und da kommen das Projekt und meine Gedankengänge gerade recht.
Wir machen uns also an die Arbeit, ein gemeinsames Bild zu entwickeln, das den angehenden Studierenden das Gefühl von Einfluss auf ihre eigene Zukunft zurück gibt. Es soll den Konnex zu den großen Zukunftsthemen herstellen, die die junge Generation beschäftigen und für die die Elektrotechnik Lösungen anbieten kann.
Gleichzeitig soll das gestalterische System flexibel genug bleiben, um nicht nur Aufmerksamkeit zu erzeugen, sondern auch Vertrauen zu schaffen. Dazu muss auch inhaltlich gearbeitet werden: Veranstaltungen, Infografiken, News, Forschungsprojekte, Startups und Zitate von Studierenden oder Dozierenden runden das Portrait der Fakultät ab. Sie werden in Themenblöcke für die Social Media Kanäle zusammengefasst, auf denen die Zielgruppe vornehmlich unterwegs ist. Das Targeting soll über eine Performance Marketing Agentur abgewickelt werden.
Es dauert keine drei Wochen und rawty überrascht mich mit einer ehrgeizigen Idee, die meine Ansätze konsequent weiterdenkt: Sie übersetzen den Claim "be part of the equation" auf die visuelle Ebene und leiten eine Slogan-Systematik ab.
Mittels einer einfachen Gleichung wird aus einer Person und dem Fachwissen, das im Studium vermittelt wird, eine Lösung für die Zukunft.
Das System ist verblüffend naheliegend und bedient sich der Stilmittel aus der Mathematik, der theoretischen Grundlage der Elektrotechnik. Das Ergebnis der Gleichung lässt sich beliebig auf die Themen der Fakultät, aber auch die Bedürfnisse der Zielgruppen anpassen.
Die Botschaften werden über ein neues Brand Design getragen: RAWTY reduziert das Logo auf den Fakultätsnamen, und erschafft eine animierte Illustrationswelt, die auf die Kernthemen des Studiums eingeht, und zugleich eine positive, von Technologie getragene Zukunftsvision zeigt. Ein kräftiges Neongelb hebt die Marke aus dem üblichen Blaugrau anderer Fakultäten heraus und ergänzt die eher zurückgenommene Farbpalette der TU Wien.
Zusammen mit der ausgearbeiteten Strategie, ihrer Herleitung, daraus resultierenden Schwerpunkten, Texten und Zitaten und einem umfassenden Designentwurf von RAWTY halten wir also eine Präsentation. Und stellen den Prototypen einem Gremium aus Dozierenden vor. Der Entwurf überzeugt, wird vom Institut abgenommen, TU-intern weiterentwickelt und – soweit wir beurteilen können – zu großen Teilen auch umgesetzt.
Ich lerne
Ich predige in meinen Vorträgen immer, dass jedes Unternehmen, jede Thematik etwas Besonderes in sich hat. Und dass es die Aufgabe in meinen Projekten sei, genau das zu finden und in eine Sprache zu übersetzen. Gerade in diesem Projekt war ich diesem Gedanken aber nicht treu, denn sonst hätte ich ja nicht so lange gezögert.
Eigentlich fast schon zynisch: Die Aufträge, die ich stattdessen annahm, interessierten mich zunächst brennend, ich fühlte mich aber schnell unterfordert. Dieses Projekt aber hat mir gezeigt, dass die wirklich wertvollen Lernmomente sich immer noch außerhalb meiner Komfortzone befinden. Und dass Wachstum nunmal Mut erfordert.
Das Projekt markiert zudem den Start einer Kooperation mit einem Designteam, das mit Brand Design, Illustration, UX/UI und Animation nicht nur vielseitig aufgestellt ist, sondern das auch strategisch denken kann. Wie RAWTY das komplexe Projekt in eine vermeintlich einfache Sprache übersetzt hat, begeistert mich noch heute. Und sie haben damit den notwendigen Impuls gegeben, der auch die Frage klärt, ob Marke und inhaltlicher Anspruch nicht zwangsläufig widersprüchlich sein müssen – vor allem im Kontext zur wissenschaftlichen Arbeit.
Zu den Aufgaben unserer Universitäten gehört auch der Wissenstransfer. Dazu muss Wissen auch dem Laien übersetzt, also vereinfacht und damit erst zugänglich gemacht werden. Ansonsten bleibt ihr Wert für die Gesellschaft verschlossen, die Universitäten wirken "elitär", was auch viele junge Menschen abschreckt.
Durch RAWTYs Übersetzung der Botschaft in einfache Formeln bleibt die Gestaltung in ihren Aussagen präzise und clever – trotz der starken Vereinfachung.
Der Gestaltungsspielraum der sich dadurch öffnet, ist nicht nur eigenwillig und dadurch einzigartig, er nützt sich auch nicht ab. Und gibt der Fakultät die Möglichkeit, ihre Botschaften mit relativ geringem Aufwand an neue Zielgruppen oder Themen anzupassen – auch in den kommenden Jahren.
Mehr zum Gestaltungsprojekt und derselbe Case aus RAWTYs Sicht, ihre Gedankengänge und visuellen Ergebnisse findest du auf ihrer Website.
Made by David.
Florian Hämmerle
Strategie
Claim
Text
Tessa Huber
Designstrategie
Brand Design
rawty.co
Christian Leban
Designstrategie
Illustration
rawty.co
Sophia Stöhr
Designstrategie
Animation Design
rawty.co