#011

Text:
Andrea Holzner

Was Farben bedeuten
oder auch nicht

Wir lernen von Kind auf den Umgang mit Farbe. Wir experimentieren mit Buntstiften, Wachsmalkreiden und manchmal auch einfach mit Ketchup auf der weißen Tischdecke. Kinder gehen dabei viel intuitiver und spielerischer mit Farben um, als es Erwachsene tun. Da ist die Zitrone in der Zeichnung schon mal rot oder der Hase bekommt kurzerhand lila Ohren verpasst. Erst mit der Zeit lernen wir, dass man Farben speziellen Dingen oder sogar Gefühlen zuordnen kann. Plötzlich ist uns ganz klar: Die Zitrone muss gelb sein und ein Hase mit lila Ohren ergibt so gar keinen Sinn.

Je älter wir werden, desto mehr interpretieren wir Farben anhand von Erfahrungsmustern und angelernten Denkschablonen. Aus kindlicher Intuition wird ein geordnetes Regelwerk. 

Aber wie weit basiert dieses Regelwerk auf tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Und wie viel davon resultiert nur aus unserem Wunsch nach klaren Vorschriften?

Wie nehmen wir Farben wahr?

Die Farbwahrnehmung ist zunächst einmal ein rein physikalischer Vorgang. Eine Farbe hat keine immanente Bedeutung. Erst im Laufe des Lebens wird sie mit Emotion aufgeladen. Die Assoziationen, die an eine Farbe gekoppelt sind, sind abhängig von persönlichen Erfahrungen, aber auch von Kultur und Geographie.

Während in Europa niemand auf die Idee käme, in Weiß gekleidet zu einer Beerdigung zu erscheinen, ist das in Japan ganz normal. Dort steht Weiß nämlich für Trauer. Diese Assoziationsketten können sich aber auch wandeln. In den 1920er Jahren wurde Pink noch als „kleines Rot“ und damit als Farbe für Jungen beworben. Heute sind es Mädchenzimmer, die ganz in Rosa gehalten sind.

Tatsächlich ist unsere Reaktion auf Farben messbar. Wird eine Person beispielsweise mit blauem Licht bestrahlt, sinkt ihr Blutdruck, die Pulsfrequenz fällt und der Herzschlag wird langsamer. Bei Rot reagiert unser Körper genau umgekehrt: Die Farbe signalisiert uns Bereitschaftshaltung.

Während man die körperlichen Reaktionen auf Farbe mit Werten belegen kann, lässt sich die emotionale Wirkung nicht so klar in Zahlen fassen. Der „Lüscher-Farbtest“ beispielsweise versucht, aus der Vorliebe der Probanden für gewisse Farben Rückschlüsse auf deren Persönlichkeit zu ziehen. Wissenschaftlich bestätigen konnte diesen Zusammenhang bisher niemand.

Steckt hinter der Analyse unseres Farbempfindens vielleicht nur der Wunsch, Details mit mehr Bedeutung aufzuladen? Oder wollen wir unseren eigenen Entscheidungen mehr Gewicht verleihen, indem wir ihnen einen psychologischen Hintergrund zuschreiben?

Ist dein Rot auch mein Rot?

Die Schwierigkeit in der Farbpsychologie beginnt eigentlich schon bei den Grundlagen. Unsere Farbwahrnehmung läuft im Gehirn ab. Gäbe es also zwei exakt gleiche Gehirne, könnten wir davon ausgehen, dass beide exakt die gleiche Farbwahrnehmung erzeugen. Aber: Das ist unmöglich. Wir gehen automatisch davon aus, dass unser Gegenüber schon weiß, was wir mit „Rot“ meinen. Aber wie kann man sicher sein, dass das Gegenüber eine Farbe auch genauso wahrnimmt wie man selbst?

Wenn Menschen schon auf einer rein biologischen Ebene Farben womöglich gar nicht identisch wahrnehmen – wie können wir davon ausgehen, dass es auf einer emotionalen Ebene anders ist? 

Regelbruch tut gut

Trotzdem orientieren sich viele Menschen an den (vermeintlichen) Erkenntnissen der Farbpsychologie. Ein Regelwerk kann in vielen Fällen hilfreich sein, denn es macht die Entscheidungsfindung leichter und kann eine scheinbar unbewusste Wahl mit Bedeutung aufladen. Etwa 60 bis 90 Prozent aller Kaufentscheidungen werden anhand der Farbe eines Produkts getroffen. Kein Wunder also, dass man sich besonders als Gestalter eine eindeutige Lösung wünscht.

Dabei hat bereits Eva Hellers Buch „Wie Farben wirken“ aufgezeigt, dass sich Farben kaum einer spezifischen Bedeutung zuordnen lassen.

Klammert man sich allzu sehr an das Erwartete, sieht am Ende alles gleich aus. Das Tech-Startup ist blau. Die NGO ist grün. Kommt dann jemand und macht es grundlegend anders, zieht er alle Aufmerksamkeit auf sich.

Dass es sich lohnen kann, mit Gewohntem zu brechen, beweisen Marken wie Manner, Magenta oder auch die Raiffeisenbank. Manners charakteristische Kombination aus Blau und Rosa würde jeden strengen Farbpsychologen erst einmal aufstöhnen lassen. Die Raiffeisenbank nutzt eine Verbindung aus Schwarz und Gelb, die in der Natur von Wespen zur Abschreckung genutzt wird. Das knallige Pink von Magenta ist alles andere als harmonisch oder angenehm für das Auge.

rote Zitrone

Die rote Zitrone ist nichts anderes als die Lila Kuh. Irritierend.

Aber das ist doch hässlich.

Mit diesen Farbkombinationen ist es ein bisschen so wie mit „Peanut Butter and Jelly Sandwiches“. Es gibt Geschmacksrichtungen, von denen man weiß, dass sie miteinander harmonieren: Erdnussbutter und Marmelade gehören nicht dazu. Man hat sich an gewisse Konventionen gewöhnt. Kommt dann jemand und kombiniert zwei im ersten Moment unpassende Geschmäcker, sind wir irritiert.

Unsere Sinne werden gefordert, wir müssen diese neue Erfahrung verdauen. Wir erinnern uns an den Moment, denn: Das Ungewohnte erleben wir bewusster.

Aber trotz aller Überlegungen, Theorien und Analysen wird es am Ende immer jemanden geben, der beim ersten Biss in das Marmeladen-Erdnussbutterbrot das Gesicht verzieht und das Stück gleich wieder auf den Teller spuckt. Geschmack bleibt eben ein individuelles Erleben, das sich nicht komplett vorausplanen lässt – weder in der Küche noch im Designbüro.