Person mit Tattoos und Zigarette mit Hühnerkopf

#009

Text:
Andrea Holzner

Archetyp oder Stereotyp?
Notes on Branding

Ronja Räubertochter. Katniss Everdeen. James Dean. Robin Hood.

Wieso fühlen sich diese eigentlich so unterschiedlichen Charaktere so ähnlich, so vertraut an? Sie alle treibt in ihrem Wesenskern dasselbe an: Sie sind unabhängig, stellen etablierte Normen und Konventionen infrage und haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Sie alle verkörpern denselben Archetypen: den Rebell, die Rebellin.

Eine gemeinsame Geschichte

Das Konzept der Archetypen geht auf den Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung zurück. Ihm zufolge gibt es ein Netz, das alle menschlichen Erfahrungen miteinander verbindet – unabhängig von Epoche, Kultur und Ort. C. G. Jung glaubte, dass wir Menschen in unserer Vielfalt und unseren individuellen Träumen alle von einer geteilten Erfahrung schöpfen: dem kollektiven Unbewussten. Gewisse Elemente, Traumbestandteile und Symbole, so seine These, bedeuten für alle Menschen, die sie erleben, dasselbe. Diese Motive verdichten sich in den Archetypen, die unterschiedliche Verhaltensmuster und Motivationen repräsentieren.

Ein Archetyp ist somit ein wiederkehrendes Muster, Symbol oder Motiv und funktioniert als eine Art Prototyp, der universelle Muster in der Seele des Menschen beschreibt. Bekannte Archetypen sind beispielsweise der Held, der Mentor oder der Entdecker.

The creation of something new is not accomplished by the intellect but by the play instinct acting from inner necessity. The creative mind plays with the objects it loves.

C. G. Jung

Sowohl in Film, Literatur und im Branding ist die Arbeit mit Archetypen eine beliebte Methode, um den Charakter einer Figur oder Marke herauszuarbeiten. Wenn man eine Geschichte erschaffen und dabei auf universellen Motiven aufbauen will, passiert es aber leider allzu oft, dass man unbewusst in stereotype Erzählstrukturen abrutscht. Doch was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen Archetyp und Stereotyp?

Raus aus der Schublade

Auch wenn die Begriffe häufig fälschlicherweise synonym verwenden, könnte man sie sogar als Gegensätze betrachten. Ein Archetyp setzt beim Wesen einer Figur an, das sich auf unterschiedliche Arten ausdrücken kann. Er bildet die Grundlage für die Entwicklung komplexer, tiefer und individueller Charaktere.

Ein Stereotyp hingegen reduziert ein Individuum oder sogar eine komplette Gruppe auf oberflächliche, vereinfachte Eigenschaften. Das kann eine stark vereinfachte Darstellung eines Geschlechts, einer religiösen Gruppe, einer ethnischen Gemeinschaft oder eines Berufs sein. Im schlimmsten Fall lassen wir Stereotypen unsere Wahrnehmung und Handlungen leiten, ohne sie jemals kritisch zu hinterfragen.

The single story creates stereotypes, and the problem with stereotypes is not that they are untrue, but that they are incomplete. They make one story become the only story.

Chimamanda Ngozi Adichie

Der Unterschied zwischen den beiden Konzepten wird noch deutlicher, wenn man zwei Figuren vergleicht, die auf demselben Archetypen aufbauen: Robin Hood und Katniss Everdeen aus der Hunger Games Trilogie. Beide sind einfallsreich, haben klare moralische Grundsätze und rebellieren gegen die bestehende Ordnung. Trotzdem sind sie keine simplen Kopien voneinander:

Robin Hood wird als charismatischer und selbstbewusster Gentleman beschrieben, der die von ihm Bestohlenen sogar zurück nach Hause begleitet. Katniss hingegen fühlt sich in Situationen, in denen sie im Vordergrund steht, schnell überfordert. Sie ist zurückhaltend und introvertiert. In Motivation und Wesen sind sich die beiden ähnlich, in ihrem Ausdruck aber grundverschieden.

Ein Rezept gegen Oberflächlichkeit?

Wichtig ist, sich zu erinnern, dass ein Archetyp kein Rezept mit exakten Detailangaben für einen Charakter ist, das 1:1 befolgt werden kann. Vielmehr gibt ein Archetyp die groben Zutaten vor, lässt aber Raum für Experimente, Abweichungen und Weiterentwicklung.

Es gilt, den Menschen Ecken und Kanten zuzugestehen – sowohl in der Entwicklung einer Marke, Figur oder im realen Alltag. Behält man sich diese Offenheit bei, läuft man weniger in Gefahr, seine Mitmenschen oder Charaktere zu Stereotypen werden zu lassen.