Florian Hämmerle

#007

Text:
Florian Hämmerle

Redefining myself.
Again.

Und dann kam die Pandemie.

Der Lockdown brachte Entschleunigung. Und für mich selbst ein überfälliges Ausatmen. Die Krise kam zum richtigen Zeitpunkt: Die Aufgaben als Unternehmer belasteten, als Gestalter fühlte ich mich ideenlos und ausgelaugt. Meine Müdigkeit verschwieg ich gewissenhaft, leugnen ließ sie sich aber nicht. Fast schon apathisch lag ich also in meinem Hängesessel – schwerelos. Ich starrte in die Wolken und stellte mich den Fragen, die schon so lange drängten, ich aber aus falschem Verantwortungsgefühl nie so recht zuliess:

„Was tu ich da überhaupt?“ „Macht das noch Spaß?“ „Was will ich von meinem Leben? “ „Bin ich ein Vorbild für meine Kinder?“ Und die vielleicht schmerzhafteste Frage von allen: „Was kann ich denn sonst eigentlich?“ Ich meinte, so richtig. So zum Anfassen.

Mir wurde bewusst, dass meine Arbeit Segen und Fluch zugleich war. Bitte versteh mich nicht falsch: kreativ sein zu dürfen, sich mit einer Unzahl an Themen zu beschäftigen und davon auch noch leben zu können ist ein absolutes Privileg. Doch Branding muss man sich leisten können. Es ist Luxus. Und genau da steckte auch mein Problem: Luxus ist und bleibt immer irgendwie … überflüssig.

Wie viel schöner wären die Straßen einer Altstadt ohne jene Unzahl an Logos, welche die Fassaden verdeckt? Wie viel echter eine Kommunikation, in der Inhalte wichtiger sind als pure Repräsentation? Wie viel wertvoller wäre ein Zusammenleben, wenn sie sich in Taten ausdrückt – statt in hübschen Worten oder Bildern? Wie viel ehrlicher eine Wirtschaft, die uns nicht laufend suggeriert, dass wir nur noch das eine – wirklich nur das eine – Produkt kaufen müssen, um die Leere in uns zu füllen?

Genügt es da, auf ein weiteres Logo stolz zu sein, weil wir uns sagen, es sei typografisch und ästhetisch hochwertiger als das daneben? Reicht es aus, sich einzureden, dass die allermeisten Kunden ohnehin das Ethische mitdenken – und wir sie ja nur in ihrer Vision unterstützen? Oder helfen wir letztlich nur denen, die ohnehin schon genug von Allem haben, noch mehr daraus zu machen?

Dieser letzte Gedanke war … niederschmetternd.

Wir Markengestalter tragen Verantwortung

… und zwar über die vereinzelte Marke hinaus. Eine Verantwortung, vor der sich viele von uns einfach wegducken, solange wir uns an unseren erdachten Systemen und Gestaltungen erfreuen. Ständig getrieben und von der Idee besessen, dass die eigene Sichtweise die richtige sei, nagt das dann doch irgendwie – so auch an mir. Über Jahre hinweg machte ich mir das zum Vorwurf, weil sich eine wunderbare Aufgabe immer öfter einfach nur leer anfühlte.

War ich undankbar? Ich bin mir bis heute nicht sicher.

Fliegen oder in der Luft hängen – beides lag nahe beinander. Ich brauchte Hilfe, schämte mich aber zugleich. Meine Rufe blieben halblaut und ich relativierte, wenn ich Angst bekam, auf taube Ohren zu stoßen. Immerhin widersprach das dem Bild, das ich immer noch hochhielt, auch wenn es laufend schwerer wurde; Schwäche zuzugeben gehörte nicht gerade zu meinen Stärken.

Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber in meinem Leben waren es nicht die Erfolge sondern vor allem die Krisen und mittleren Katastrophen, die mich wirklich weiterbrachten. Entwicklung ist keine gerade Linie, das machte mir das Leben immer wieder bewusst. Die Wachstumsschmerzen hörten nicht auf, nur weil ich erwachsen wurde. Und so sehr ich mich an das klammerte, was ich zu wollen glaubte, so sehr kam alles anders.

Corona war eine dieser Krisen.

Die Zweifel, die im Inneren schon lange wuchsen, wurden von äußeren Einflüssen noch genährt – ein zynischer Gleichklang, wie ich damals in meine Notizen schrieb. Schon zu Beginn der Pandemie wurden erste Budgets eingefroren – von heute auf morgen. Die schönsten Projekte stoppten, noch bevor sie richtig Fahrt aufnehmen konnten. Der große Erfolg des Vorjahres verkehrte sich ins Gegenteil. Und manche Kunden, für die unser Design Büro in dieser Zeit dann doch arbeitete, waren gerade jene, die in solchen Krisen profitierten. Das fühlte sich ungerecht, manchmal sogar richtig falsch an – aber auch erschreckend alternativlos.

Mich quälte das Ungewisse. Etwa, wie es mit dem Markt oder unserer Branche weitergehen würde; systemrelevant war sie ja nicht. Oder, wie wir das als Agentur übertauchen sollten – als Freunde und als Familie. In unserem Pflichtgefühl vermittelten wir unseren Mitarbeitern Sicherheit, schickten sie schließlich in die Kurzarbeit. Mich selbst plagten Existenzängste. Eine hartnäckige Unruhe nahm mir die letzte Energie.

Ein paar Monate später, als ich mir endlich Hilfe holte, wurde mir eine starke Depression attestiert. Ich stand an der Schwelle zum Burnout. Das zweite in meinem Leben. Chapeau.

Etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie lösten mein Geschäftspartner und ich das Büro einfach auf. Nicht weil wir mussten. Sondern weil wir beide einfach nicht mehr wollten. Oder vielleicht, weil wir beide einfach mehr wollten.

Zurück zum Anfang

Unsere Begründungen waren sehr unterschiedlich. Der eigentliche Grund aber vermutlich derselbe: Ein Wunsch nach mehr Freude. Und wieder mehr Sinn.

Am Anfang tat das weh. Wie immer, wenn etwas Prägendes zu Ende geht. Und eine Zeit lang hab ich mich innerlich gewehrt. Denn auch im Rückblick waren die zehn Jahre, in der wir als Geschäftsführer ein Team aus Gestaltern geführt und unseren eigenen Weg geformt hatten, eine wertvolle Zeit, in der ich viel lernen durfte, großartige Menschen kennenlernte und mit noch großartigeren zusammenarbeitete. Das aufzugeben fühlte sich undankbar an. Und doch war es … erleichternd.

Mein Zusammenbruch kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Das würde ich später verstehen. Mein Vater meinte dazu:

„Manchmal braucht es den Schritt zur Seite, anstatt stur nach vorne zu gehen.“ Und als er meinen fragenden Blick wohl bemerkte, ergänzte er: „Von der Seite sehen die Dinge ganz anders aus.“

Wie so oft hatte er recht.

Mit dem Abstand kam also Erleichterung. Dann die Freude. Und schließlich: Neuer Mut. Ausgerechnet eine Krise zeigte, wie viel Kraft in mir steckt. Und wie ich wieder zu mir selbst finde. Aber das erzähle ich dir ein andermal.

bunte Farbpalette

Die Welt ist bunter, als sie manchmal scheint. Die Farbpalette von David.

Was zum …?!

Du fragst dich, warum ich das erzähl? Ich denke, es macht mich in meinen Entscheidungen und Eigenheiten greifbarer. Und wer mit mir arbeitet, soll ruhig wissen, woran er ist. Es tut auch gut, diese Gedanken zu Papier zu bringen – oder in diesem Fall auf deinen Monitor. Es befreit, darüber zu schreiben oder zu sprechen. Und doch erfordert es auch eine gewisse Portion Mut, den ich mir einfach beweisen will. Denn eines bleibt schließlich immer gleich: Die Vorstellung vieler, es sei schwach, wer Schwäche zeigt.

Burnouts, Angststörungen und Depressionen sind in unserer Branche keine Einzelfälle. Oft sind es nur Episoden, manches bleibt aber dauerhaft – mit schwerwiegenden Folgen für das Selbstbild, aber auch für die Beziehungen, die uns lieb und wichtig sind.

Diese Erfahrungen sind einschneidend. Sie werden Teil unserer Identität. Im Negativen, aber auch im Positiven.

In meinem Fall liegen sie nun schon einige Zeit zurück. Und doch haben sie Einfluss darauf, wer ich heute bin. Sie färben, wie ich die Welt seh, haben mich sensibler und vorsichtiger gemacht. Und sie prägen, welche Haltung und welche Werte mir wichtig sind. Mit welchen Menschen ich mich umgebe und welche ich lieber meide. Und nicht zuletzt, wie ich arbeiten und wie ich leben möchte.


Andrew Rinkhy
Fotografie